Yayoi Kusama.
Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Riehen/Basel.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr, Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 25. Januar 2026.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hatje Cantz, Berlin 2025, 268 S., 48 Euro | ca. 81.90 Franken.
Schwer zu sagen, wie oft Yayoi Kusama schon in Vergessenheit geriet, um dann ein paar Jahre später von einem begeisterten Publikum wiederentdeckt zu werden. Heute ist die Grande Dame der japanischen Kunst 96 Jahre alt und das Auf und Ab von Erfolg und Misserfolg gehört längst der Vergangenheit an. Es hat sie ohnehin nie interessiert, Kusama machte lieber ihr eigenes Ding. Anfang der 1960er Jahre waren das abstrakte Malereien mit sich überschneidenden, zunehmend ins Unendliche tendierenden Linienmustern, die sie „Infinity Nets“ nannte. Später dann folgten ihre berühmten psychedelischen Installationen, für die sie penis- oder pilzförmige Objekte mit gepunkteten Stoffen überzog und in verspiegelten Räumen zu scheinbar unendlichen, sinnlichen Landschaften arrangierte.
Man könnte das subjektiven Realismus nennen: Seit ihrer Kindheit wurde Kusama von Halluzinationen heimgesucht. Vor der emotionalen Kälte ihrer Familie floh sie mit Ende 20 nach New York, wurde dort Teil der Pop-Art- und Happening-Szene und eröffnete 1969 eine eigene Boutique, in der sie neben ihrer Kunst auch selbst entworfene Kleider verkaufte. Die Polka-Dot-Muster, entstanden aus der Negativsicht auf das dichte Maschenwerk ihrer „Infinity Nets“, wurden ihr Markenzeichen und waren zugleich Grundlage ihres Konzepts der „Self-Obliteration“, des Einswerdens mit ihrer Umgebung, der Welt, dem Universum. „Wenn ich meinen gesamten Körper mit Punkten bemale und auch den Hintergrund mit Punkten versehe, ist das ein Akt der Selbstauslöschung.“ Gesundheitlich angeschlagen kehrte sie dann nach 15 intensiven Jahren in der New Yorker Kunstszene nach Tokio zurück und ließ sich 1977 in die offene Station einer psychiatrischen Klinik einweisen, wo sie bis heute lebt und arbeitet.
Einen guten Eindruck von der Allgegenwart der Unendlichkeit in Kusamas Werk vermittelt ihre aktuelle Retrospektive in der Fondation Beyeler. Kuratorin Mouna Mekouar trug dafür gemeinsam mit der Künstlerin rund 300 Arbeiten aus sieben Jahrzehnten zusammen. Vom mit Punkten übersäten Blumenstillleben, das Kusama 1939 im Alter von zehn zeichnete, bis hin zu den jüngsten Bildern der Serie „Every Day I Pray For Love“, auf denen Textfragmente über Liebe, Jugend, Schönheit und Tod auf in Komplementärkontrasten flimmernden Polka-Dot-Meeren treiben, wird deutlich: Der Ort, den Kusama in ihren Bildern aufsucht, ist eine Welt abseits des verbürgten Wissens und der messbaren Realität. Im Gegenteil: Ihr Werk basiert auf Maßlosigkeit. Ihre künstlerische Praxis folgt einer obsessiven Dynamik der Anhäufung, getrieben vom Horror vacui.
Schon auf ihren ersten „Infinity Net“-Bildern weisen die akkuraten Gitterstrukturen weit über den Bildrand hinaus. Wenig später erobern Punkte bereits ihren eigenen Körper und infizieren die selbst genähten Soft Sculptures, die sie hundertfach zu Phallus-Landschaften arrangiert, später zu ganzen Polyurethan-Kürbisfeldern im Kunstraum oder zu tentakelartigen Gebilden im gelb-schwarzer Signature Look, den sie in den Achtzigern entwickelte.
In der Fondation Beyeler standen diese nun Modell für einen ihrer beiden neuen „Infinty Mirrored Rooms“, die sie eigens für ihre Retrospektive entwarf. Im Kellergeschoss, weitab vom Gedränge in den Sälen zwischen dem poetischen Frühwerk, den Fashion-Designs der Siebziger und den wandfüllenden, leuchtenden Großformaten der Serie „My Eternal Soul“ (2009-2021), endet der Weg vor der verspiegelten Tür eines Kabinetts, in dem sich maximal zehn Personen aufhalten dürfen. Im Innern winden sich riesige, aufblasbare Schlauchfragmente wie das Gedärm eines Monsters auf LSD durch den verspiegelten Raum. Mit unsicherem Schritt wankt man über den spiegelnden Boden, das Rauschen des Gebläses im Ohr, spürt die Enge des Raumes und verliert sich zugleich in der hundertfachen Reflexion der gepunkteten Formen. Und plötzlich spürt man, wie bereitwillig der eigene Körper beginnt, Yayoi Kusamas Idee der Self-Obliteration zu folgen.




