Tyler Mitchell: Wish This Was Real.
Photo Élysée, Place de la Gare 17, Lausanne.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 17. August 2025.
www.elysee.ch
Als Tyler Mitchell (*1995) ein Teenager war, klickte er sich auf Tumblr stundenlang durch Tausende von BiIdern. Ihn interessierte die besondere Emotionalität und Direktheit der Coming-of-age-Fotografien von Künstlern wie Ryan McGinley, Larry Clark oder Spike Jonze. Was ihm auffiel: sie alle waren Weiße. Später griff er selbst zur Kamera, angetrieben von dem Wunsch, eine Bildsprache für dieses Gefühl von Aufbruch, Unabhängigkeit, Nähe und Glück junger Schwarzer zu entwickeln, das in den Medien bis dahin kaum präsent war. Er drehte Skater-Videos, schoss Kampagnen für Fashion-Labels von Comme des Garçons bis Marc Jacobs und war 2018 der erste Afroamerikaner, der ein Cover für die US-„Vogue“ fotografierte – das Porträt von Beyoncé wurde kurz darauf von der National Portrait Gallery in Washington angekauft. Mit „I Can Make You Feel Good“ legte MItchell 2020 schließlich seinen ersten Bildband vor. Es war ein programmatisches Debüt: eine flirrende Utopie Schwarzen Lebens, die auf ungewöhnlich leichte, fast märchenhafte Weise in scharfem Kontrast zur Wirklichkeit von Rassismus und Polizeigewalt in den USA stand.
Einige Fotografien aus diesem Band sind nun auch in Mitchells Werkschau in Lausanne zu sehen, die eine Auswahl von Arbeiten aus den letzten zehn Jahren versammelt. „Wish This Was Real“ startet mit der gleichnamigen Videoarbeit von 2014: Vier Jugendliche in weichen Pullis spielen vor rosa, gelb und hellblau changierenden Hintergründen mit bunten Wasser-Pumpguns. Dazu läuft ein sanfter Ambient-Soundtrack, luftig und angenehm sedierend. Nur die unter transparenter Plastikfolie keuchenden Körper, die hin und wieder zwischen die farbenfrohen Szenen geschnitten sind, lassen erahnen, dass es hier nicht um eine Hommage an das Spielen geht, sondern um die Erinnerung daran, dass für schwarze Jugendliche das Spiel in jedem Moment in tödlichen Ernst umschlagen kann. Mitchell drehte die Videoarbeit nur wenige Wochen, nachdem Tamir Rice in Cleveland von einem Polizisten erschossen worden war. Der hatte die Spielzeugpistole des 12-Jährigen für eine echte Waffe gehalten.
Viele Fotografien, die zu dieser Zeit entstanden, zeigen Mitchells Interesse an Porträt und Mode. Oft sind es Freunde, die für ihn posieren, auf der Treppe nebenan, beim Einkaufswagenrennen auf den Gehweg, in improvisierten Settings am Strand oder im Park. Entspannt liegen sie im Gras, genießen mit geschlossenen Augen das Nichtstun, das Loslassen oder die Nähe der anderen, deren Körper sie berühren und so in Gemeinschaft aufgehen. In jüngeren Fotografien rückt dann immer stärker die Landschaft in den Vordergrund. In „Dreaming in Real Time“ von 2021 erobern die Menschen die Natur für sich, schwimmen im See, picknicken am Ufer oder im lichten Wald. Mitchell wuchs in Atlanta auf, einer der grünsten Städte in den USA und zugleich Zentrum der Südstaaten, in denen Landschaft bis heute untrennbar verbunden ist mit der Geschichte der Sklaverei. Für seine Fotografien habe er sich von Toni Morrisons Konzept der „postcolonial pastoral“ inspirieren lassen, sagt er. Die romantische Beschwörung der von Gewalterfahrungen geprägten Landschaft verstand die Literaturnobelpreisträgerin als einen Akt der Selbstermächtigung und der selbstbewussten Inanspruchnahme von Heimat.
Am Ende von „Wish This Was Real“ steht schließlich eine von Mitchell kuratierte Ausstellung-in-der-Ausstellung mit Arbeiten von Künstler:innen, die seinen Blick wesentlich prägten. Neben einer raumgreifenden Lautsprecherboxeninstallation von Carrie Mae Weems, einem Jeansbild von Loretta Penway Bennett und Rashid Johnsons zersplitterter, mit Farbe überschütteter Spiegelarbeit „Them [Eux]“ sind das zahlreiche ikonische Fotografien von Gordon Parks, Earlie Hudnall Jr., Baldwin Lee und Paul Strand. Die Nähe, die er von heute aus zu ihnen sucht und herstellt, ist so nachvollziehbar wie berührend.