Was weitergeht: Beständigkeit im Schatten der Disruption

Clémentine Adou, Re dots, red noses, red noses, red dots, 2024-2025 (vorne), Xmas, 2019-2024 (an der Wand), Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
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29. April 2025
Text: Dietrich Roeschmann

Was weitergeht.
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Mittwoch bis Freitag 15.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 18. Mai 2025
www.kunstvereinfreiburg.de

Kevin Jerome Everson, Sanfield, 2020, Videostill, Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
Kevin Jerome Everson, The Wood Thrush and the Bobwhite Quail, 2025, Filmstill, Courtesy the artist
Clémentine Adou, Daddy long legs' hands, 2023, Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
Hemansingh Lutchum, Arms for Legs (Plantation Chair, 1834-1920), 2024, Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo

Seit der Zeitenwende steht fest: Alles bricht zusammen, nichts ist mehr so, wie es einmal war. Schon klar. Aber warum lässt einen der Verdacht nicht los, dass diese Diagnose nicht ganz stimmt? Richtig: Trotz der dramatischen Umbrüche, die wir derzeit beobachten, gibt es mächtige Kontinuitäten, die gerne übersehen werden. Dazu gehören nicht nur die Beharrungskräfte des Nostalgischen – also das Gefühl, dass früher alles besser war –, sondern auch die vielen kleinen Routinen unseres persönlichen Alltags, und natürlich die ganz großen Systeme, Beispiel: der Kapitalismus.

Diesem Phänomen der Kontinuität in Zeiten der Krise widmet sich die Gruppenschau „Was weitergeht“ im Kunstverein Freiburg. Eines lässt sich hier gleich bestätigen: Auch unter den gegenwärtigen Bedingungen gibt es keinen Anlass, darauf zu bestehen, dass Kunst aktivistisch werden muss, um politisch zu sein.

Ein gutes Beispiel dafür ist Clémentine Adous Videoarbeit „Xmas“. Seit Dekaden brüten die Shopdesign-Teams der beiden großen Pariser Kaufhäuser Printemps und Galerie Lafayette Jahr für Jahr über den Schaufenstergestaltungen, mit denen sie sich in der kommenden Weihnachtszeit die Kunden abwerben wollen. Es sind üppige Bühnenbilder für den Auftritt der Waren, inspiriert von Musicals und Märchenfilmen, Oper und Ballett, mechanisch animiert wie Automatentheater. Aus der ganzen Stadt pilgern Familien an den Boulevard Haussmann, um sich das Spektakel der konkurrierenden Häusern anzusehen und über die Displays zu streiten.

In Schaufenstergröße an die Wand des Kunstvereins Freiburg projiziert, nimmt Adous Video das staunende Kind in uns mit auf einen Ausflug in das Räderwerk des Kapitalismus, das wiederum selbst nur eine sehnsuchtsvolle Projektion ist. Im Backstage der Wertschöpfung ist ja schon lange kein Rattern mehr zu hören, sondern nur das Rauschen der Serverkühlung.

Weniger glamourös, aber ähnlich subtil thematisiert Adou die schleichende Normalisierung des Regelbruchs in einer Installation aus vier um die eigene Achse rotierenden Regenschirmgerippen. Leise klappern dazu ein paar Clownsnasen, die locker an den Enden der Metallstreben stecken. Das wirkt traurig und bedrohlich zugleich. Der Clown, der früher punktuell die Ordnung auf den Kopf stellte, um sie für alle, die ihr ausgesetzt waren, erträglicher zu machen, steht heute längst nicht mehr abseits, sondern als Joker im Zentrum der Macht. Die kathartische Qualität seiner Regelbrüche ist der toxischen Qualität der Disruption gewichen, die weltweit zunehmend das Handeln vieler Regierenden bestimmt und so neue Kontinuitäten schafft.

Passend zu Adous Regenschirmen dreht sich nebenan in Kevin Jerome Eversons Schwarzweiß-Film „Sanfield“ ein Flugschüler auf einem US-Luftwaffenstützpunkt endlos im Kreis. Mit geschlossenen Augen sitzt der junge Schwarze auf einem Stuhl und folgt den Anweisungen seines Ausbilders aus dem Off. Die Situation ist zweideutig: Der Soldat muss tun, was ihm gesagt wird, doch der meditative Charakter der Übung erlaubt ihm zugleich, ganz bei sich zu sein. Während auf der Tonspur weiter die Stimme des Ausbilders zu hören ist, folgt die Kamera anderen jungen Schwarzen auf dem Gelände bei ihren Tätigkeiten. Die Ungleichzeitigkeit, die so entsteht, lässt das Dokumentarische des Films ins Absurde kippen, Hierarchien verkehren sich. Aus dem Keller des Kunstvereins pumpt dazu von der Tonspur eines zweiten Videos von Everson – „The Wood Trush and the Bobwhite Quail“ von 2025 – die P-Funk-Version des Gospel-Klassikers „Swing Low, Sweet Chariot“, während junge schwarze Birdwatcher mit Fernglasattrappen den Himmel über Washington D.C. nach der Ankunft des sagenhaften Motherships von Afrofuturist George Clinton absuchen. Das Original der Raumschiff-Requisite, die P-Funk-Star Clinton 1977 für die Welttournee seiner Band Parliament hatte zusammenzimmern lassen, steht heute im National Museum of African American History and Culture, das momentan akut von Donald Trumps Krieg gegen Diversität bedroht ist.

Am Ende des Ausstellungsparcours, auf der Empore, steht ein Plantagenbesitzerstuhl mit extralangen Lehnen zum Hochlegen der Füße. Hemansingh Lutchmun hat ihn von Mauritius mitgebracht, wo er seine jüngste Videoarbeit mit seiner Mutter gedreht hat, die dort als Kind indischer Eltern geboren wurde und jetzt als Ärztin in einer Klinik auf dem Gelände einer zum Museum umgebauten ehemaligen Plantagenvilla arbeitet. Begleitet vom endlosen Laubharken der Gartenarbeiterinnen im paradiesischen Krankenhauspark, spricht er mit ihr über das kontinuierliche Vergessen des eigenen Verstricktseins in eine koloniale Geschichte.

Die offene Frage, mit der einen diese Ausstellung in den Alltag entlässt, lautet: Warum sind es eigentlich so oft die verbindenden Konzepte wie Solidarität, Empathie oder Gastfreundschaft, die bei gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen unter Druck geraten, während sich das Destruktive, das niemand braucht – Rassismus, Misogynie, das Recht des Stärkeren – einer unerschütterlichen Kontinuität erfreut?