Shu Lea Cheang: ki$$ ki$$, kill, kill.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr, 1, München.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 3. August 2025.
www.hausderkunst.de
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Mousse Publishing, Milano 2025, 120 S., 24 Euro.
Science-Fiction im Museum: Seit den 1980er Jahren beschäftigt sich die taiwanesisch-amerikanische Künstlerin und Filmemacherin Shu Lea Cheang (*1954) mit der digitalen Welt, mit KI, Robotern und Automatisierung. Im New York der 1990er Jahre wurde sie mit experimentellen Filmen bekannt, die sich vor allem mit den Themen Digitalität und Netzwerk befassen. Nun widmet das Münchner Haus der Kunst der mittlerweile in Paris lebenden Künstlerin ihre erste große Museumsschau: „kiss kiss kill kill“. Ein leuchtend roter Neonmund, darin die Wörter „kiss kiss“, die sogleich umschalten auf den Schriftzug „kill kill“: Das Lieben und das Töten scheint dem Menschen eingeschrieben. Der Leuchtschriftzug entstammt einem der wichtigsten Filme von Shu Lea Cheang aus den 1990er Jahren, in München wird er nun zum Ausstellungstitel.
Und tatsächlich fühlt man sich in dieser Schau mitunter wie in einem Film – einem Science-Fiction-Film: „Home Delivery“ heißt der erste Raum, drei kleine Roboter fahren leise hin und her, auf ihrem Rücken transportieren sie braune Papp-Boxen, die üblicherweise für Essen zum Mitnehmen benutzt werden. Hier sind die Boxen leer – zum Glück, denn schon bald katapultieren die Roboter die Boxen quer durch die Luft gegen die Wände, wo sie sich zu einer traurigen Mülllandschaft auftürmen. Es herrscht Endzeitstimmung, als hätten die Menschen die Erde verlassen und nur ihre vollautomatischen Essenslieferanten fahren weiter hin und her. Gleich mehrere Themen greift die Künstlerin hier auf: Automatisierung, Esskultur, Müll. Se erinnert sich, wie die New Yorker ihren Müll nach Staten Island verfrachteten und dass in Taiwan einmal Atommüll auf einer Insel entsorgt wurde, ohne dass der Protest der Bewohner:innen etwas dagegen ausrichten konnte. „Das ist eine Art Umwelt-Rassismus, der Müll geht immer zu den weniger Privilegierten“. Im zweiten Raum funktioniert der Elektroschrott noch: Auf blau strahlenden Leuchtkästen liegen die Folien Dutzender Computertastaturen, nackt und ohne Gehäuse. Sobald die Besucher:innen die Kontakte auf den Folien berühren, lösen sie damit einen Sound aus: „Bimbo“, „Seduce“ oder „Scheiße“ heißt es da. Es sind Worte, die von KI-Bildgeneratoren zensiert werden.
Der dritte Raum widmet sich dem digitalen Müll: Über die Wände ziehen sich die Projektionen von Computerbildschirmen, darauf Mailinglisten, eine vor dem Aufkommen von Social Media weit verbreitete Kommunikationsform. Nach und nach zerfallen die Texte zu einzelnen Buchstaben und regnen wie Blätter von den Bäumen, am unteren Bildrand stapelt sich das Material, verdichtet sich – und lässt kleine Pflanzenkeime sprießen.
Shu Lea Cheangs Gedankenwelt ist hochkomplex, überraschend und neu, immer wieder verknüpft sie die ungewöhnlichsten Dinge miteinander, rammt etwa Elektroden in Pilzkulturen und wandelt die dort herrschende elektrische Spannung in Geräusche um. Zugleich ist Cheangs Arbeit tief durchdrungen von der Idee des Netzwerkens, auch wenn es so gut wie unmöglich ist, ihren Gedanken anhand der Kunstwerke zu folgen. Arbeiten aus früheren Jahrzehnten wurden mit neuen Ideen kombiniert und „upgedated“. Leider funktioniert das nicht immer gut. Blutplättchen aus einem alten Filmprojekt werden hier kontextlos auf einen weißen Untergrund projiziert, eine riesengroßes, zwischen männlich und weiblich, jung und alt, weiß und schwarz wandelndes Wesen thront zentral in der Mitte von allem – ein Selbstporträt? Ein Avatar? Eine menschliche KI? Ohne den Katalog oder andere Texte gelesen zu haben erschließen sich einige der Arbeiten einfach nicht – zumindest nicht in ihrer ganzen Tiefe. Eine Ahnung von den erstaunlichen Vernetzungen und Ideen der Künstlerin vermittelt die Schau durchaus – und lässt einen zurück mit einer sehr großen und sehr unbefriedigten Lust auf ihre Filme.