Christian Marclay, The Clock: Hommage an das Kino

Christian Marclay
Christian Marclay, The Clock, 2010, Installationsansicht, © Christian Marclay, Courtesy Paula Cooper Gallery, New York
Review > Stuttgart > Kunstmuseum Stuttgart
25. April 2025
Text: Anne Abelein

Christian Marclay: The Clock.
Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch und Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 25. Mai 2025.
www.kunstmuseum-stuttgart.de
Gesonderte Vorführzeiten:25. und 26. April 2025, 10.00 bis 1.00 Uhr; 6. Mai 2025, 7.00 bis 18.00 Uhr; 17. Mai, 10.00 Uhr bis 18. Mai 2025, 18.00 Uhr.

Christian Marclay
Christian Marclay, The Clock, 2010, Filmstills, © Christian Marclay, Courtesy Paula Cooper Gallery, New York
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Christian Marclay, The Clock, 2010, Filmstills, © Christian Marclay, Courtesy Paula Cooper Gallery, New York
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Christian Marclay, The Clock, 2010, Filmstills, © Christian Marclay, Courtesy Paula Cooper Gallery, New York

Während eines Verhörs kann sich die Zeit unendlich dehnen. Ebenso, wenn man enerviert darauf wartet, dass der Partner sein Frühstück beendet. Bei einer Schulprüfung rast sie dagegen förmlich. Erst recht, wenn man ein Motorradrennen absolviert, eine Bombe hochzugehen droht oder man in einem Auto unter Wasser eingesperrt ist. Dem Zeitempfinden in all diesen und noch vielen weiteren Situationen spürt Christian Marclays Installation „The Clock“ von 2010 nach. Die bei der Venedig-Biennale von 2011 mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnete Arbeit ist im Kunstmuseum Stuttgart nun erstmals in Deutschland zu sehen. Der Film mit den über 12.000 Szenen, in denen die Zeit angesagt oder angezeigt wird, umspannt 24 Stunden. Schon im April haben Besuchende einer Gesamtpräsentation beigewohnt und sich dabei bestens unterhalten und mit Speis und Trank versorgt – freilich nicht direkt im Saal – die Nacht um die Ohren geschlagen. Das Publikum stand Schlange, und die bequemen Sessel, die Kinobesuche in Erinnerung rufen, waren stets besetzt.

Drei Jahre lang hat der Londoner Künstler Christian Marclay (*1955) mit sechs Assistent:innen das Filmmaterial in Archiven gesammelt und es dann zu einer Montage zusammengefügt. Dabei bilden die Sequenzen eine kontinuierliche Narration, denn die Übergänge ereignen sich sanft. So verlässt etwa in einer Szene eine Person ein Zimmer, und im nächsten Filmausschnitt taucht eine andere wieder auf. Manchmal bildet auch die Musik das verbindende Element, die über mehrere Sequenzen gelegt wird. Die Installation stellt auf vielen Ebenen die Zeitwahrnehmung der Betrachtenden in Frage. Gleichzeitig ist es eine sehr zugängliche Arbeit, die regelrecht eine Art Sog entwickelt und kaum je Langeweile aufkommen lässt: Die verschiedensten Genres, Stile und Filmepochen sind in den Szenen vertreten; der Bogen spannt sich von „High Noon“ über „Pulp Fiction“ bis hin zu „Stolz und Vorurteil“, „Harry Potter“, „Lola rennt“ oder „American Beauty“. Man trifft auf Agenten, Politiker, Polizisten, Liebespaare und walzende Krankenschwestern, die Säuglinge in den Schlaf wiegen. Tom Cruise und Robin Williams sind genauso vertreten wie Harrison Ford oder Julianne Moore. Schauplätze sind unter anderem Schlafzimmer, Großstädte, Arztpraxen, Landhäuser, Klöster, Gefängniszellen und Friedhöfe.

Die innerfilmische Zeit läuft dabei stets mit der realen Zeit synchron. Nicht selten kommen die gezeigten Szenen Schlüsselmomenten gleich, in denen die Zeit davoneilt oder sich lange dehnt, sei es bei gefühlsgeladenen Abschieden an Flughafen und Bahnhöfen, Verfolgungsjagden, einem Raubzug oder gar beim Fund eines Mordopfers. Elegante Anzüge und Gentlemen in Schwarz-Weiß-Filmen wechseln mit Hochfrisuren aus den 60ern ab, aufwändige musikalische Untermalungen mit Uhrenticken und gespanntem Schweigen, sodass sich zugleich eine Kostümgeschichte und ein Archiv der Filmmusik ergibt. Vielfältig sind auch die Zeitmesser. Sie reichen von gravitätischen Pendeluhren und aufwändigen Glockenspielen über filigrane Armbanduhren bis hin zum Radiowecker, der wutentbrannt an die Wand gepfeffert wird. Manchmal werden in den Szenen oder in Songs auch das Vergehen der Minuten, Tage und Jahre direkt thematisiert, und Memento-Mori-Symbole wie brennende Zigaretten tauchen auf. Zu vollen Stunden verdichtet sich die Montage zu dramatischen Höhepunkten, so um 12 Uhr mit „Lola rennt“. Wer die Installation erleben möchte, kommt aber immer zur rechten Zeit: „The Clock“ hat keinen Anfang und kein Ende.