Eccentric, Ästhetik der Freiheit: Tanz der Polarbären

Eccentric
Eccentric, Ausstellungsansicht, Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Haydar Koyupinar
Review > Pinakothek der Moderne
11. Dezember 2024
Text: Jürgen Moises

Eccentric. Ästhetik der Freiheit.
Pinakothek der Moderne. Barer Str. 40, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 27. April 2025.
www.pinakothek-der-moderne.de
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen: Hirmer Verlag, München 2024, 216 S., 34,90 Euro | ca. 49.90 Franken.

Eccentric Ensor
James Sidney Ensor, Stillleben im Atelier, 1889, Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Nicole Wilhelms
Eccentric Quarles
Christina Quarles, I Dream Of All Day Long, 2023, Foto: Fredrik Nilsen, © Christina Quarles
Eccentric, Süssmilch
Sophia Süssmilch, A buceta e um cafézinho, 2023, Foto: Michael Maritsch

„Sei wagemutig, sei anders, sei unpraktisch“: So hat es der britische Fotograf Cecil Beaton einmal gefordert. Und dass man sich „gegen die Kreaturen des Banalen, die Sklaven des Alltäglichen“ behaupten soll. Nachzulesen ist das Zitat neben weiteren, ähnlichen Statements von Vivienne Westwood, David Lynch oder Albert Einstein im Magalog zur Ausstellung „Eccentric. Ästhetik der Freiheit“ in der Münchner Pinakothek der Moderne. „Magalog“ heißt die Begleitpublikation, weil sie mehr Magazin als Katalog ist. Das heißt: Bunt, schrill, gedanklich und visuell ausufernd. So wie es auch die von Bernhart Schwenk und Eva Karcher kuratierte Ausstellung ist, die in der Exzentrik eine „intellektuelle Haltung“ sieht und diese als Motor für Freiheit, Demokratie und Humanismus feiert.

Das macht die Schau auf eine unterhaltsame und anregende Art. Auch wenn man vielleicht nicht jeden Gedanken mitgehen muss. Und man könnte auch fragen, ob Kunst nicht per se exzentrisch ist. Das fragen aber auch die Macher der Ausstellung selbst, die in fünf Kapitel geteilt ist und rund 100 Werke von 50 Künstler*innen präsentiert. Werke, deren Exzentrik einem im ersten Kapitel „Creatures“ geradezu ins Gesicht springt. Da sieht man sich lebensgroßen Polarbären in knallbunten Federkostümen von Paola Pivi gegenüber, die tanzen oder einen Purzelbaum schlagen. Dahinter hängt ein lebensgroßes Krokodil von Maurizio Cattelan. Von Mike Kelley ist ein gemalter E.T. zu sehen, mit einem ewig langen Hals, verteilt auf mehrere zusammenklappbare Bilder. Und von Klará Hosnedlová gibt es eine Art urzeitliche Kreatur aus erdigen, verfilzten Fasern.

Mit „Stillleben im Atelier“ ist auch ein Gemälde des belgischen Künstlers James Ensor ausgestellt, der damit 1889 den Surrealismus vorwegnahm. Von den Surrealisten selbst werden im Kapitel „Fließende Körper“ Werke von Salvador Dalí und Max Ernst präsentiert. Dort gibt es auch zwei der typischen, überlängten Skulpturen von Alberto Giacometti. Was zeigt: Hier werden auch Klassiker der Moderne in die Welt der Exzentrik eingemeindet. Zeitgenössische Positionen gibt es aber auch, und genauso auch Exzentrisches aus Mode und Design. Dazu gehören von Künstler*innen gestaltete Handtaschen aus dem Modehaus Dior, welches bei der Ausstellung als Hauptförderer fungiert. Und in der „Eccentric Design Lounge“ sind unter anderem eine Bank mit Sternenhimmel-Optik von Pia- Maria Raeder und ein Sessel im Krater-Look von Fredrikson Stallard zu sehen.

Mit „Exalted Cosmos“, „Transformative Technology“ und „Hybrid Beauty“ sind drei weitere  Kapitel überschrieben. Darin geht es um die eigenen, kreativen Welten, die exzentrische Künstler*innen für sich und uns kreieren. Wie Pipilotti Rist, der man im Video „Ever Is Over All“ beim lustvollen Zertrümmern von Autofenstern zusehen kann. Es geht um den grenzüberschreitenden Umgang mit Technik, um Schönheitsideale und um Genderfragen. Bei alldem wird klar, dass der aus der antiken Astronomie stammende Begriff Exzentrik sehr schillernd und nur schwer zu fassen ist. Aber vielleicht liegt gerade auch darin seine von den Kuratoren postulierte Offenheit und Freiheit. Um ihre These von der Exzentrik als Freiheitsmotor zu untermauern, zitieren diese eine Studie von David Joseph Weeks, der in den 1980ern Nonkonformismus, Kreativität und Neugier, aber auch Humor und Frohsinn als Eigenschaften von Exzentrikern ermittelte. Und sie zitieren den Philosophen John Stuart Mill, der in der Exzentrik ein Mittel gegen die „Tyrannei der öffentlichen Meinung“ sah. Worin diese Tyrannei im Kapitalismus besteht, der das Exzentrische und Exaltierte oftmals selber feiert, ließe sich fragen. Wobei Schwenk und Karcher nicht den Kapitalismus, sondern die dogmatische Welt heutiger Autokratien mit ihrer „Ästhetik der Zerstörung“ als Gegenpol zur Exzentrik sehen. Ob sich Autokraten von bunten, tanzenden Bären schrecken lassen? Wohl eher nicht. Aber bei der Frage, ob man lieber ihnen oder „protzigen Militärparaden“ (Eva Karcher) zusieht, ist die Antwort ziemlich einfach.