Walk this way: In Bestzeit durchs Museum

Walk this way
Asta Gröting, Ein Bürger von Calais / die Füße  von Eustache de Saint Pierre, 2015, © Asta Gröting, VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Review > Ravensburg > Kunstmuseum Ravensburg
9. Dezember 2024
Text: Florian L. Arnold

Walk This Way.
Kunstmuseum Ravensburg, Burgstr. 9, Ravensburg.
Dienstag 14.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 23. Februar 2025.
www.kunstmuseum-ravensburg.de

Walk this way
Pipilotti Rist, Ever Is Over All, 1997, Still, Detail, © Pipilotti Rist, VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Walk this way
Kubra Khademi, Armor, 2015, Performancestill, Foto: Naim Karimi, © Kubra Khademi, VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Walk this way
Pope.L, The Great White Way, 22 miles, 9 years, 1 street, 2000–2009, Performancestill, © The Estate of Pope.L

Der öffentliche Raum als Ort des Sehens und Gesehenwerdens, als Raum für psychogeografische Eindrücke hat Künstler:innen immer fasziniert. „Spazieren muss ich unbedingt, um mich zu beleben“, sagte Robert Walser, der das Gehen als ein ästhetisches Verfahren verstand, um Inspiration und Einsicht zu erlangen. Und Walter Benjamin berichtet in „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ von seinem Traum, das Gehen neu zu erlernen. Gehen, eine Bewegungstechnik, die in der Kindheit so mühevoll erlernt wurde, erscheint später ganz selbstverständlich. Doch dieses uns so natürliche Zusammenspiel von Muskelspannung, Verlagerung von Körpergewicht und kontrolliertem Ortswechsel des Körpers rückt immer erst ins Bewusstsein, wenn das Fortbewegen nicht mehr wie gewünscht funktioniert.

Mit seinen „Crawling Performances“ sorgte der afroamerikanische Künstler Pope.L (1955-2023) in den 1970ern für Unruhe. Indem er bäuchlings auf belebten New Yorker Straßen kroch, verwischte er die Trennlinien zwischen Alltag und Performance. Die widersprüchlichen Assoziationen – der erniedrigte, behinderte, ausgestoßene Mensch – waren nicht leicht auszuhalten. Und auch heute noch irritiert die Videodokumentation des Performancepioniers, zu sehen in der Austellung „Walk This Way“ im Kunstmuseum Ravensburg“. VALIE EXPORT (*1940) und Peter Weibel (1944-2023) nutzten den öffentlichen Raum in Wien für eine Performance in Sachen Dominanz: Eine Frau führt einen kriechenden Mann wie einen Hund an der Leine. Dokumentiert als „Mappe der Hundigkeit“ ist diese Arbeit von 1968 ein frühes Werk des modernen Feminismus und der Kritik an Machtverhältnissen. „Walk This Way“ zeigt viele solcher unbehaglichen Walking Acts, öffentliche Auftritte wie etwa von Kubra Khademi (*1989) aus Afghanistan zeigen, dass die Menschheit immer wieder „einen Schritt vor, zwei Schritte zurück“ macht. Mit einer metallenen „Rüstung“, die Brüste und Po wie ein Harnisch umschließt, ging die Künstlerin 2015 durch die Innenstadt von Kabul. Das Videodokument muss verstören: Sofort schlagen Zorn, Hass, Aggression der jungen Frau entgegen, die am Ende in einem Auto flüchten muss. Die Reaktionen der vorwiegend jungen Männer zeigen die gefährliche Situation von Frauen in Afghanistan – wo es auch keine freie Kunst mehr gibt. Khademi musste nach dieser Aktion ihr Land verlassen – ein Fortgehen der tragischen Art.

Doch es gibt auch heitere, erheiternde Positionen. Der Film „The Girl Chewing Gum“ von John Smith (*1952) verschiebt Wahrnehmungsmuster. Man sieht eine Straßenszene. Eine Stimme aus dem Off gibt Anweisungen: „Jetzt soll der alte Mann die Straße überqueren. Jetzt will ich, dass das kleine Mädchen vorbeiläuft!“ Man könnte meinen, das sind typische Regieanweisungen einer inszenierten Szene. Tatsächlich nahm Smith diese Szene 1976 in London auf und legte erst anschließend „Regieanweisungen“ darüber. Simon Weckert (*1989) hackte 2020 Google Maps, indem er mit einem Bollerwagen voller Handys durch wenig frequentierte Berliner Straßen zog und so dem Kartendienst-Giganten Staus vorgaukelte: wie leicht hier eine Realität manipuliert werden kann. Florian Slotawa (*1972) sprintete binnen eines Jahres durch namhafte Museen in München, Frankfurt und Hamburg. Die Videodokumentation im Erdgeschoss des Kunstmuseums zeigt ihn im Sportdress beim Durchqueren der Säle, am Ende wird die „Bestzeit“ eingeblendet. Ein gewitztes Spiel mit schwindenden Aufmerksamkeitsspannen – wie viel Zeit nehmen wir uns noch für einen Besuch, wie absurd ist im Grunde das Durcheilen der Ausstellungshäuser. Das Vorbeispurten an den großen Meistern der Kunst mahnt zu Entschleunigung. Eine der schönsten Arbeiten zeigt der Brite Martin Creed (*1968): Er lässt junge und alte Menschen mit Behinderungen eine Straße in New York überqueren. Wie sich diese selbstbewusst im öffentlichen Raum bewegen, untermalt von ansteckend gut gelauntem Indie-Pop, beeindruckt. Creeds „Heiterkeitsimperativ“ gibt dem Akt des Gehens das Faszinierende, Besondere zurück, das er im Alltag oft verloren hat.