Neïl Beloufa: Humanities.
Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.30 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 19. Januar 2025.
www.kunsthallebasel.ch
Kein Grund zur Sorge. Neïl Beloufa (*1985) möchte nichts von uns, was wir nicht ohnehin jeden Tag zu geben bereit sind. Ein paar persönliche Daten – Name, Beruf und nach was wir im Leben so streben: Profit oder Wirksamkeit? Dazu die Bestätigung, dass wir keine Roboter sind, das OK zu den AGBs, und prompt landet in der Mail-App ein individueller QR-Code, der als Schlüssel zu der Installation „Growth“ dient, welche der französisch-marokkanische Künstler in der Kunsthalle Basel aufgebaut hat. Die mehrere Räume umfassende Arbeit entwirft einen Parcours durch unser Leben auf der Spur der digitalen Abdrücke, die wir hinterlassen. Schon auf den ersten Metern erscheint dieses Leben als eine unendliche Abfolge von Momenten, in denen wir uns entscheiden müssen. Jede dieser Entscheidungen hat Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Geschichte, formt die Räume, durch die wir uns bewegen, die Dinge, die wir sehen, und auch die, die wir nicht sehen.
Was Neïl Beloufa interessiert, ist die seltsame Gleichzeitigkeit, mit der wir unsere Souveränität und Handlungsmacht behaupten und doch wissen, dass sich die Algorithmen, die unsere Wahrnehmung prägen, unserer Kontrolle entziehen. Nicht zufällig trägt seine Ausstellung den Titel „Humanities“. Der 39-Jährige betreibt hier eine Art experimentelle Humanwissenschaft – immersiv, interaktiv und ironieoffen. Man könnte sagen, es geht um die Verräumlichung unserer Verstrickung in Systeme, die wir zwar nicht verstehen, die uns dafür aber um so besser verstehen. Daran lässt auch das weitere Prozedere keinen Zweifel, das die Besucher in Beloufas „Growth“ durchlaufen. Wie in einem Videogame müssen sie sich aus vordefinierten Eigenschaften zunächst einen Avatar basteln. Vor vier großformatigen Hartschaum-Reliefs, die wie Karikaturen modernistischer Kunst-am-Bau-Kunst die Themenfelder Natur, Technik, Gesellschaft und Gesundheit illustrieren, dürfen sie ihre jeweilige Präferenz wählen, bevor sie dann zur weiteren Personalisierung ihrer Figur vor Regalen stehen, auf denen 50 hinreißend dilettantisch geschnitzte Emoji-Skulpturen aus bunt bemaltem Styropor zur Auswahl einer individuellen Top 5 liegen: Ein Smartphone, eine Wolke, ein Käse, ein Wasserstrahl, ein Bankgebäude, ein Globus und so weiter. Ein blinkender Counter unter jedem Objekt zählt die jeweilige Beliebtheit der Symbole. Ganz oben stehen an diesem Tag Laptop, Geld und Wasser.
In Beloufas theatralisch inszeniertem Kunstlabor ist das Publikum zugleich Subjekt und Objekt seiner eigenen Geschichte. Es ist wie im richtigen Leben: Die Daten, mit denen die Besucher die Ausstellung füttern, sind das Material, aus dem sie ihre Avatare erschaffen, welche ihnen am Ende der Schau wiederum in einer wandfüllenden Videoprojektion als KI-generierte Alter Egos begegnen, die allen Anwesenden von ihren jeweiligen Vorlieben, Potenzialen und Erfolgen erzählen. Die überzogene Self Marketing-Rhetorik dieser Avatare und ihre wüsten Behauptungen provozieren gemischte Gefühle von Belustigung bis Peinlichkeit.
Kurzweilige Kommentare zum komplexen Verhältnis zwischen Selbstbild und Fremdbestimmung durch Institutionen, Daten und Systeme liefern auch zwei weitere Arbeiten in dieser Schau. Flankiert von MDF-Reliefs mit Strand- und Bergmotiven schreddert da eine Maschine auf Knopfdruck protzige Preise, mit denen namenlose Broker irgendwann einmal für außergewöhnliche Börsendeals ausgezeichnet wurden – ein schönes Bild für die Flüchtigkeit von Erfolg in der Finanzwelt. Das Leben in Uniform und die Motivation, beim Militär zu arbeiten, thematisiert dagegen Beloufas Interview-Collage „Global Agreement“, für die er 2018 Dutzende von Soldatinnen und Soldaten aus aller Welt in Freizeitbekleidung befragte. In Basel laufen die kurzen Videocall-Clips in einem Setting, das an ein Fitnessstudio erinnert. Auf subtile Weise lässt ihr unscharfes Flackern und Rauschen hier die Grenzen zwischen persönlicher und institutioneller Erzählung gleichermaßen verschwimmen wie die zwischen den Schönheitsidealen des zivilen und des militärischen Körpers.
Neïl Beloufa: Humanities.Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel. Dienstag bis Freitag 11.00 bis18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.30 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00bis 17.00 Uhr. Bis 19. Januar 2025. www.kunsthallebasel.ch