Almut Heise.
Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 5. Januar 2025.
www.pinakothek-der-moderne.de
Almut Heise: Catalogue raisonné I & II – Malerei, Zeichnungen, Radierungen, Distanz, Berlin 2024, zwei Bände, je 280 S., Deutsch/Englisch, 68 Euro | ca. 91.90 Franken.
Eine Frau mittleren Alters in einem Restaurant, halblange Haare mit Pony, in der Hand eine Zigarette. Links und rechts vor ihr sind zwei Servietten zu spitzen Hütchen gefaltet, wie Verkehrskegel scheinen sie die Frau von den Nebentischen abzuriegeln. Direkt vor ihr auf dem Tisch: ein Radio, die ausgezogene Antenne verläuft schräg durchs Bild, ganz nah an ihrem Ohr vorbei. Was wir sehen, ist eine Frau in der Öffentlichkeit, die sich zugleich abschirmt, in Kontakt mit der Welt, aber über Umwege.
Die Bleistiftzeichnung von 1991 ist ein Selbstporträt der in Hamburg lebenden Künstlerin Almut Heise, der die Pinakothek der Moderne zum 80. Geburtstag derzeit eine große Einzelausstellung widmet. Auffällig ist die Präzision der Zeichnung: aufwändig ausgearbeitet, malerisch, plastisch, sie hat aber nichts Expressives, die Kraft kommt hier ganz aus der Ruhe der Fläche. Eine solche Technik erfordert enorm viel Zeit. „Ich hatte nie genug Arbeiten, um eine Galerie zu füllen“, erzählt die Künstlerin. „Und vor allem nicht, um nachzulegen. Es heißt ja dann, jetzt verkaufen wir das und was machen wir nächstes Jahr? Und da habe ich gesagt, nächstes Jahr habe ich keine Bilder. Jetzt brauchen wir fünf Jahre. Ich wollte auch nicht an so eine Menge denken, die ich produzieren muss, jedes Bild war erstmal ein Vorhaben, von dem ich dachte, das ist endlos.“
Almut Heise ist eine stille, leise Künstlerin. Sie macht nicht viel Gewese um sich und ihre Kunst, ruhig vor sich hinarbeiten: Das ist es, was sie will. Sicher auch deshalb ist sie nach den frühen Erfolgen etwas in Vergessenheit geraten. In der Pinakothek der Moderne sind nun Zeichnungen, Radierungen und Gemälde aus allen Schaffensperioden zu sehen, darunter einige der Interieurs, mit denen sie in den 1960ern bekannt wurde: Schlafzimmer, Küchen, Bäder: die unspektakulären, repräsentativen Räume einer Wohnung. Die Zeichnungen einer typischen 1950er-Jahre-Küche etwa, farbenfroh und voller Muster, blitzblank, aber auch ein bisschen kühl. Ein echter Lichtblick ist da das Fenster, mit Blick nach draußen, in den freien, offenen Himmel.
Ein anderes Interieur zeigt ein Doppelbett mit weißer Bettwäsche, an der Wand über dem Kopfteil die Reproduktion einer Arbeit von Wassily Kandinsky. „Natürlich geht es nicht nur ums Zeichnen, natürlich möchte man auch etwas sagen, nur die Aussage sollte nicht so auf der Hand liegen, das fände ich dann illustrativ. Ich finde, es muss erst mal für sich stehen“, sagt Almut Heise. Der Kandinsky an der Wand trägt den Titel „Kontakt“. Zu sehen ist ein schwarzer Kreis und ein spitzes Dreieck, die sich minimal berühren.
Almut Heises Stil ist extrem eigenständig. Der in ihren frühen Jahren angesagten Pop-Art oder dem Informel hält sie stoisch ihre altmeisterliche Feinmalerei entgegen. Den Begriff Realismus findet Almut Heise für ihre Arbeiten nicht so passend. „Natürlich, man sieht, was da ist, es ist auf eine realistische Art und Weise gemalt, aber es liegt mir nicht soviel daran, dass es das wirklich gibt, sondern das ist ja eher eine Behauptung.“
Immer wieder geht es in Heises Werk um Wahrnehmung als solche. Da ist etwa das Bleistift-Porträt einer Freundin, in eleganter Abendgarderobe sitzt sie in einem Sessel und schaut dem Betrachter durch ein Opernglas direkt ins Gesicht. Daneben eine Frau von hinten, abgewandt von Kaffee und Kuchen auf dem Tisch vor sich, blickt sie stattdessen an die Wand hinter sich und auf das Bild, das dort hängt. Es ist Giorgio de Chiricos „Geheimnis und Melancholie einer Straße“. Abwendung und Zuwendung, Innen und Außen, selber schauen, statt angeschaut werden.