Philipp Goldbach: Training Images.
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst, Beim Glaspalast 1, Augsburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 12. Januar 2025.
www.kunstsammlungen-museen.augsburg.de
Die Digitalisierung fordert ihre Opfer. Eines dieser Opfer sind analoge Informationsträger wie Dias, die längst Platz machen mussten für das digitale Bild, das auf einer Festplatte oder in einer Cloud gespeichert wird. In den letzten zwanzig Jahren passierte ein nie dagewesener Medienwechsel – inklusive umfassender Entsorgung analoger Informationsträger. Was jahrzehntelang als gute und zuverlässige Bilddatenbank diente, war mit einem Mal Abfall.
Das konnte den Kölner Künstler Philipp Goldbach (*1978) nicht kalt lassen, zu dessen Studienzeit in den Nullerjahren das Dia als Bildträger durchaus noch Standard war. Nur hat Goldbach, im Gegensatz zu anderen, nie aufgehört, sich mit dem Dia zu befassen: als Künstler hat er diesem Medium eine Installation – vielmehr eine Hommage – in der Halle 2 im Glaspalast Augsburg unter dem Titel „Training Images“ eingerichtet. Und man staunt zunächst nicht schlecht, denn beim Betreten des großzügigen Raumes sieht man sich einer auf dem Boden zwischen den Säulen verstreuten Flut von Dias gegenüber – man möchte fast sagen: bis zum Horizont. Die rund 350.000 Dias bilden zur Mitte hin Erhebungen und an den Rändern so etwas wie Wellen, beim Herumgehen glitzert und schimmert es – das sind die Lichtreflexe in den mit Glas gesicherten Exemplaren. Es hat etwas fast Magisches, wie sich diese Dias wie riesige manifestierte Pixel ganz physisch erfassen lassen. Schaut man näher hin, sieht man, dass jeder Rahmen penibel beschriftet ist; oftmals sind die Informationen gut zu lesen, etwa Künstler oder Kunstwerk, Entstehungszeit, Ort, Aufnahmedatum und dergleichen. Das ist real, das ist tragisch. Denn all diese Dias waren einst wichtiges Material in der Forschung und sind nun wertlos.
Man muss sich, obwohl dieser Bildträger noch vor gar nicht langer Zeit im Einsatz war, schon zurückerinnern, dass einmal eine hauchdünne Folie Träger wichtiger Bilder war – die dem Auge erst durch einen Projektor zugänglich wurden. Dieses als unbrauchbar deklarierte Bildarchiv hat Goldbach beispielsweise vom „Institute of Fine Arts“ der New York University erhalten. Der Künstler betont, dass er seine Bestände nicht bei Ebay erwirbt oder auf Flohmärkten zusammenkauft, sondern direkt von den Instituten übernimmt, die diese Dias loswerden wollen. Eine aktive Sicherung also. „Training Images“, Trainingsbilder – der Titel nimmt Bezug auf den ursprünglichen Zweck dieser Bildträger. Sie sollten in kunstgeschichtlichen Instituten angehende Wissenschafterinnen und Wissenschaftler, Archivarinnen und Archivare ausbilden helfen. Ein umfangreiches Bilderreservoir, das zugleich den Blick der Forschenden auf die Welt und auf das Kunstwerk an sich formte, das eine bestimmte Art des Umgangs mit Kunst vorgab – denn die meisten Dias sind eurozentrisch, oftmals subjektiv gefärbt in der Auswahl, bisweilen nach persönlichen Vorlieben schon vor dem endgültigen Ausmustern geordnet. Indem Goldbach seinen Schatz entweder als unsortierten, gigantischen Haufen in der Hallenmitte ausstreut oder in ausgedienten Postkisten präsentiert, macht er das Vergängliche des vermeintlich auf Ewigkeit angelegten Archiv-Begriffs sichtbar. Die Frage, wann wohl heutige Archivsysteme überholt sein werden, drängt sich auf.
Ästhetisch und subtil sind die Wandobjekte, die Goldbach aus Diarahmen komponiert hat: „Lossless Compression“ etwa ist ein 22 Meter langer „Fries“, der Dia an Dia zu einer großen abstrakten Grafik reiht. Kein zufälliges Muster: Goldbach folgte der alphabetisch fortlaufenden Sortierung, beginnend bei Aalto, endend bei Zurbarán (Francisco). Die unterschiedliche Materialität und die variablen Grautöne der rund 240.000 Dias bewirken ein nervöses Moiré, das einem stark vergrößerten Interferenzmuster gleicht – eine Anspielung auf die Frühzeit analoger Bildschirme, die weit von heutiger HD-Klarheit entfernt waren. Goldberg macht mit „Training Images“ auch deutlich, dass man eine gewisse Demut vor den heute überholt erachteten Archivsystemen haben darf: einst halfen sie, die Welt zu verstehen und Verschwundenes zu bewahren. Und: diesen Bildern aus der Vor-KI-Epoche durfte man noch rückhaltlos vertrauen.