Erik Steinbrecher: Psychoproustdouche, Merve Verlag, Berlin 2024, 128 S., 12 Euro | ca. 18.90 Franken
Schwer zu sagen, wieviele Seiten Erik Steinbrechers Künstlerbuch wirklich hat. Dass es deutlich mehr sind, als in den schmalen Band passen, macht den wilden Charme dieser Sammlung vielfach übereinander gedruckter Collagen aus. Ganz in Cyanblau gehalten, ohne Licht oder Tiefe und ohne jede Orientierung, hat es etwas seltsam Unwirkliches, sich durch diese Seiten mit dutzendfach überdruckten Seitenzahlen zu blättern. Gut möglich, dass der KI-generierte, von Künstlerhand manipulierte, von der KI überarbeitete, von Freunden ergänzte (und so weiter) Bilderstrom die Zukunft des Künstlerbuchs skizziert. Oder vielleicht auch, wie Merve-Verleger Tom Lamberty vorschlägt, die Zukunft der KI – „als Künstlerische Impertinenz sozusagen“. Steinbrechers Titel „Psychoproustdouche“ spräche zumindest dafür – er klingt fast wie eine Hommage, nicht nur an Marcel Proust. „Psychobuildings“ hieß ein inzwischen teuer gehandeltes textfreies Künstlerfotobuch, das Martin Kippenberger 1988 im Merve-Verlag veröffentlichen wollte, sich dann aber doch entschied, es in Eigenregie herauszubringen – in geklautem Merve-Design, spiegelverkehrt. Impertinent eben.
Les voix magnétiques, Musée des Beaux-Arts Le Locle 2024, 256 S., ca. 27.90 Franken
Hartnäckig dementierte die Swissair laut Recherchen von Harald Szeemann, dass ihren Piloten beim Flug über den Monte Verità je irgendetwas Besonderes aufgefallen wäre – was die Piloten der Allitalia wiederum leidenschaftlich mit der Beobachtung konterten, ihre Geräte würden jedes Mal verrückt spielen, wenn sie sich dem Berg auch nur näherten. Naheliegend, dass die Aussteiger:innen, die hier hoch über Ascona und dem Lago Maggiore um 1900 die legendäre Kommune mitbegründeten, eher den italienischen Piloten geglaubt hätten. Für sie war es ein magischer Ort. Federica Chiocchetti, Direktorin des Musée des Beaux-Arts Le Locle, hat sich nun auf die Spur der Frauen begeben, die das gemeinschaftliche Experiment auf dem „Berg der Utopien“ wesentlich prägten, und ihnen ein schönes kleines Buch gewidmet. Neben zahlreichen historischen Fotos und Gedichten einiger Mitstreiterinnen versammelt es auch 20 Biografien der wichtigsten Protagonistinnen – von der frühen Ökofeministin Ida Hoffmann über Helena Blavatsky, Mutter der Theosophie, bis zur österreichischen Anarchistin Frieda Schloffer und den Ausdruckstanz-Pionierinnen Isadora Duncan und Mary Wigman.
Grow it, show it!, Distanz Verlag, Berlin 2024, 392 S., 40 Euro | ca. 61.90 Franken
Haare wachsen, Tag für Tag, Monat für Monat – und damit die zahllosen Optionen, sie zu gestalten. Der großartige Bildband „Grow it, show it!“ zur gleichnamigen Schau im Essener Folkwang Museum erzählt von Diane Arbus bis Slavs and Tatars die wild wuchernde Geschichte der Haare als Motiv der Fotografie – und als Ausdruck von Emanzipation. Kurzweilig, rebellisch, glamourös.