Paula Rego, Machtspiele: Familienaufstellung zwischen Kampf und Spiel

Paula Rego
Paula Rego, Possession I, 2004, Coleção Fundação de Serralves – Museu de Arte Contemporânea, Porto, Portugal, © Paula Rego / Bridgeman Images
Review > Basel > Kunstmuseum Basel
14. November 2024
Text: Dietrich Roeschmann

Paula Rego: Machtspiele.
Kunstmuseum Basel Neubau, St. Alban-Graben 8, Basel.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mi 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 2. Februar 2025.
Katalog: 45 Euro | ca. 62.90 Franken.
www.kunstmuseumbasel.ch

Paula Rego
Paula Rego, The Dance, 1988, Courtesy Tate, © Paula Rego / Bridgeman Images
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Paula Rego, Metamorphosing after Kafka, 2002, Courtesy Christen Sveaas'Art Foundation, © Paula Rego / Bridgeman Images
Paula Rego
Paula Rego, The Family, 1988, Privatsammlung, Courtesy Eykyn Maclean, © Paula Rego / Bridgeman Images

Am Ende des Rundgangs, im letzten Saal der Retrospektive von Paula Rego (1935-2022) im Kunstmuseum Basel, steht ein Sofa in Cognacbraun. Man kann sich darauf niederlassen und noch einmal den Blick schweifen lassen, umgeben von sieben großformatigen Pastellen, die eine Frau auf einem cognacbraunen Sofa zeigen, auf dem Rücken liegend oder die Kissen umklammernd, schwer zu sagen, ob nachdenklich oder erschöpft, unruhig oder traurig, gelähmt oder entspannt. Der Titel der Serie „Possession“ lässt jedoch ahnen, dass sich die Posen dieser Frau keinem Wellbeing-Programm verdanken, sondern einer stummen Notwendigkeit – als physische Effekte unkontrollierbarer Kräfte, die sich ihres Körpers bemächtigt haben wie Ängste, Traumata, Phantomschmerz oder Depression. Die Frau, die Paula Rego für diese Serie Modell stand, war Lila Nunes. 1985 als Au-Pair in die Familie gekommen, kümmerte sie sich zunächst um Regos schwer erkrankten Ehemann Victor Willing. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde sie dann zur Muse der Malerin, zur professionellen Assistentin und zu ihrem Alter Ego auf der Leinwand. Die Beziehung zwischen den beiden war geprägt von einem hohen Maß an gegenseitiger Empathie. Das war eine wichtige Voraussetzung für die Überzeugungskraft der theatralischen, auf den ersten Blick oft düsteren, rätselhaft aufgeladenen Szenen, die Rego entwarf. „Selbstporträts mag ich nicht“, sagte sie einmal. „Lieber dehne ich mich auf andere Menschen aus und bilde sie ab. Solange man andere malt, muss man nicht sich selbst malen; aber unser Streben und unser Wille zum Erfolg sind darin weiterhin spürbar“.

Schon früh äußerte sich das in der Statur ihrer Figuren. Die Köpfe der Menschen, die Regos Bilder ab den 1980er Jahren bevölkern, sind so groß und schwer, das man fürchtet, sie könnten unter ihrem Gewicht zusammenbrechen. Dass sie trotzdem in sich hineinzulächeln scheinen, erzählt von einer stillen Souveränität und inneren Stärke, die angesichts der unterschwelligen Gewalt in ihren Settings überrascht. Wie etwa auf dem Bild „Der Kadett und seine Schwester“, das eine Frau in rotem Kostüm zeigt, die vor einem zierlichen jungen Mann in Uniform kniet und seine Schuhe bindet. Die dienende Geste täuscht, ebenso die Uniform als Zeichen der Exekutivgewalt, denn sobald sich die Frau erhebt, wird sie ihren kleinen Bruder, den Kadetten, an Größe und Kraft weit überragen. „Meine Lieblingsthemen sind Machtspiele und Hierarchien“, bekundete Rego nicht zufällig – eine Feststellung, die der Basler Retrospektive auch ihren Titel geliehen hat.

Die Lust, mit der Rego in ihren Bildern die Möglichkeiten solcher Autoritätsverschiebungen zelebriert, ist unübersehbar – ob in der Serie „Girl and Dog“ über die Ambivalenz von Liebe und Abhängigkeit, im traumartigen „The Dance“, in dem sich Rego beim nächtlichen Tanz durch die Einsamkeiten und Zweisamkeiten ihres Lebens malt, oder in „The Family“, einer grotesken Familienaufstellung zwischen Kampf und Spiel, beobachtet von einem abseits stehenden Mädchen wie in einer Szene aus einem Horrorfilm. „Ich habe Glück, eine Frau zu sein“, sagte Paula Rego Anfang der Neunziger in einem Interview: „Weil ich Malerin bin, und weil es viele Geschichten und Dinge zu erzählen gibt, die noch nie zuvor gesagt wurden“. Auch wenn sie überall präsent waren, allerdings lautstark beschwiegen – wie häusliche Gewalt oder die Lebensgefahr, die ein verbotener Schwangerschaftsabbruch für Frauen in Portugal bedeutete, bis 2007 endlich das Abtreibungsrecht liberalisiert wurde. Regos „The Abortion Pastels“ und zahlreiche Radierungen zur Serie, die auch in Basel zu sehen sind, dürften dazu einen Beitrag geleistet haben. 

Es ist erstaunlich, dass die in Lissabon geborene Malerin lange vor allem in Portugal und in ihrer Wahlheimat Großbritannien gefeiert wurde, darüber hinaus aber nur wenigen bekannt war. Ihren internationalen Durchbruch hatte Rego dann kurz vor ihrem Tod mit einer Malereiinstallation an der Venedig Biennale 2022, zu sehen in der Hauptausstellung „The Milk of Dreams“. Die Basler Retrospektive weitet auf spektakuläre Weise nun den Blick auf ihr Werk.