Hicham Berrada
Galerie Stadt Sindelfingen, Marktplatz 1, Sindelfingen.
Montag bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 16. Februar 2025.
www.galerie-sindelfingen.de
Schon beim Betreten der abgedunkelten Ausstellung in der Galerie Stadt Sindelfingen riecht es erdig. Was wächst denn da? Es sind Farne, die in einem Terrarium mit hoher Luftfeuchtigkeit gedeihen, ferner knollenartige Gewächse sowie eine mineralische Struktur. Tatsächlich handelt es sich um Skulpturen aus dem 3D-Drucker, und sie sprießen nicht, sondern zersetzen sich vielmehr. In dieser eigens für den Ausstellungsort geschaffenen „Chambre climatique“ simuliert der marokkanisch-französische Künstler Hicham Berrada (*1986) Evolution. Zugleich praktiziert er Nachhaltigkeit, denn der genutzte biologische PLA-Kunststoff ist kompostierbar – zumindest, wenn man Farne und Myzelien nahe der PLA-Objekte in Symbiose wirken lässt. Dann verwandeln die Pilze die Polymere in organische Masse.
In seinen prozesshaften Arbeiten nützt Hicham Berrada natürliche Gesetzmäßigkeiten und Materialien, mit denen er wie ein Wissenschaftler experimentiert. Was entsteht, oszilliert rätselhaft zwischen Natur, Kunst und Digitalem. Seine Arbeiten waren schon in Paris im Louvre und im Centre Pompidou zu sehen, im ZKM in Karlsruhe und an der Taipeh Biennale 2020.
Künstlerische Eingriffe in die Natur nimmt er auch in Videoinstallationen vor. „Les Oiseaux“ (Die Vögel) sind 2014 bei einem Stipendienaufenthalt in der Villa Medici entstanden und rufen Erinnerungen an klassische Landschaftsbilder wach. Der Piazzale vor der Villa ist ein vielfach dargestelltes Motiv. Berrada zeigt ihn bei Nacht und richtet sein Augenmerk auf einen 20-kW-Lichtstrahl, den er dort installiert hat. Von der Lichtsäule angelockt, umschwirren ihn Möwen wie künstlerische Akteure in einem poetischen Nachtstück.
In anderen Exponaten löst er Mutterplatinen und Leiterplatten malerisch in elektrolytischen Bädern auf. Verfolgen, wie Berradas Welten entstehen, kann man in der 360-Grad-Videoinstallation „Présage“ im Oktogon: Er gießt Mineralien in die Lösung, und es bilden sich Unterwasser-Landschaften, die an Korallenriffe und Tropfsteine erinnern. Mit ihrer Haptik besticht die „Hygres“-Serie im Obergeschoss des Oktogons. Für die 3D-Wandskulpturen hat Berrada sich von der Wahrsagemethode des Wachsgießens und digital bearbeiteten Pflanzen und Steinformen inspirieren lassen und gestaltete sie symmetrisch. Was entsteht, erinnert an außerirdische Wesen, üppigen Barockschmuck und Rorschach-Bilder und ist zugleich eine würdige Hommage an Max Ernsts surrealistische Zeichnungen „Histoire Naturelle“ von 1925.