All I eat in a Day: Ich konsumiere, also rezipiere ich Kunst

All I eat in a day
Gabriele Garavaglia, Resilience HD, 2024, Foto: Kunst Halle Sankt Gallen, E. Sommer, Courtesy the artist
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12. November 2024
Text: Annette Hoffmann

All I Eat in a Day.
Kunst Halle Sankt Gallen, Davidstr., 40, St. Gallen.
Dienstag bis Freitag 12.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 1. Dezember 2024.
www.kunsthallesanktgallen.ch

All I eat in a day
Cory Arcangel, Femmes d'Alger dans leur appartement (Version A), 2024, Foto: Kunst Halle Sankt Gallen, E. Sommer, Courtesy the artist
All I eat in a day
Sanko GameCorp ©, Based Bun (pink), Geeny (blau), DEV (rot), 2024, Foto: Kunst Halle Sankt Gallen, E. Sommer, Courtesy the artist

„So, you don’t care about art?“ Die Stimme der Venus von Willendorf klingt ein bisschen streng, zugleich amüsiert und überzeugt davon, dass auch Ollie schon noch zur Kunst finden wird. Doch Ollie ist ein Kind seiner Zeit und fordert erst einmal eine Verbindung zu seinem eigenen Leben ein. Willkommen in Jayson Mussons Video „His History of Art“. In drei Episoden, die man in der Kunst Halle Sankt Gallen bequem vom Sofa aus verfolgen kann, nimmt der New Yorker Künstler uns mit auf eine Tour de Force durch die Kunstgeschichte, angefangen bei der Altsteinzeit. Musson (*1977) inszeniert seine Lehrstunde als ein TikTok-Video mit Sitcom-Elementen wie der Lachkonserve und prominenten Gästen. Neben der Venus von Willendorf, die dank ihrer opulenten weiblichen Formen kaum durch die Tür passt, ist es ein Steinzeitmaler, der sich ein Bison als Modell auf das Sofa gelegt hat und Picasso. Zur Dekoration zerfließen Uhren wie bei Dalí, es gibt Anleihen an Matisse und einige stimulierende Substanzen für Ollie. Ollie ist ein grauer Plüschhase mit der schlechten Laune eines Teenagers, Musson selbst sieht sich in der Rolle eines schwarzen Comedians. Auf der Grundlage von Superhelden-Erzählungen erklärt er Kunst oder billigt den Päpsten zu, sehr wirkungsvoll mit Macht erhaltenden Symbolen zu arbeiten. Musson, dem bislang selbst der eine oder andere TikTok-Hit gelang, macht sich ein bisschen lustig über die Konventionen, mit denen Kunstgeschichte geschrieben wird sowie über Ausschlussmechanismen des Betriebes. Ollie lernt ausgesprochen schnell. „All I eat in a day“ setzt bei unser konsumistischen Haltung ein, die auch auf die Kunst übergreift und vor allem nach dem Nutzen fragt.

Giovanni Carmine, Direktor der Kunsthalle, hat die Ausstellung gemeinsam mit dem US-amerikanischen Medienkünstler Cory Arcangel (*1978) kuratiert. Der Titel greift selbst das virale Phänomen „What I eat in a day“ auf. YouTuber filmen, was sie während eines Tages zu sich genommen haben. Es ist – Überraschung! – meist eher wenig, dafür sehr gesund, kalorienarm, aber reich an Proteinen und damit geeignet, allen anderen ein schlechtes Gewissen zu machen. In der Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen wird auch viel verzehrt und verstoffwechselt. Recht eindrücklich wird dies bei dem Pappaufsteller von Gabriele Garavaglia (*1981). Der Zürcher Künstler hat einen filmtauglich geschminkten Zombie auf einer Harley Davidson inszeniert. Der Zombie mit seinem unstillbaren Drang, sich zu bewegen und andere zu Zombies zu machen, ist Sinnbild für den Kapitalismus, der sich nur halten kann, wenn immer mehr produziert und konsumiert wird. Cory Arcangel selbst unterzieht einen Picasso-Ausstellungskatalog einem Computerprogramm, das die Daten transformiert. Aus Körpern werden Umrisslinien, verbunden mit bunten Pixeln, die zu Treppchen geformt sind. Unzählige IKEA-Spiegel setzen die Bilder ins Unendliche fort und bieten eine perfekte Selfie-Kulisse, die Dynamik ist fordernd. „Femmes d’Alger dans leur appartment“ mag den Entertainmentcharakter von Kunst kritisieren, doch hat die Arbeit dabei selbst kannibalistische Züge, indem sie jede Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die Ausstellung scheut sich nicht, Marken zu nennen, sie kommen eben nicht gut weg. Barbara Kruger (*1945) bezichtigt das Skaterlabel Supreme eines Plagiats und ein IKEA-Bon-Teppich liegt vor einem der Sofas wie ein erlegtes Wildtier. Im Idealfall hat die Kunst zu Konsum und Unterhaltung ein differenziertes Verhältnis, nur tritt dieser Fall eben nie ein. Mit dem „Flight Simulator Entertainment“ von Laurel Schwulst (*1988) kann man sich im Verzicht üben. Statt wie bei der schier unendlichen Medienauswahl während eines Fluges lässt das Display nur drei Alternativen zu. Musik, Video oder Text? Wer sich für die Videos entscheidet, kann wiederum zwischen drei Tierfilmen wählen und sich zerstreuen lassen – und etwa einem Kojoten zusehen, wie er eine Katze neckt oder einem Otter, der selbstvergessen mit einem Stein spielt. Das hat zwar auch Suchtpotenzial, nimmt sich aber vergleichsweise wie Detox aus.