Yael Bartana, Two Minutes to Midnight: Versuchsanordnung für eine andere Politik

Yael Bartana
Yael Bartana, Two Minutes To Midnight, 2021, Performancestill, Foto: Birgit Kaulfuß
Review > München > VS
11. Oktober 2024
Text: Roberta De Righi

Yael Bartana: Two Minutes To Midnight.
VS, Goethestr. 54, München.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 20. Oktober 2024.
www.villastuck.de

Yael Bartana
Yael Bartana, Two Minutes To Midnight, 2021, Performancestills, Foto: Birgit Kaulfuß

Es ist eine belebende Ortsveränderung: Das Museum Villa Stuck logiert seit einem halben Jahr im Münchner Bahnhofsviertel. Weil die historische Künstlervilla im noblen Bogenhausen technisch saniert wird, hat die städtische Institution ihr Interimsquartier „VS“ im Haus an der Goethestraße 54 bezogen. Für die Zwischennutzung von rund eineinhalb Jahren hat das junge Münchner Architektur-Duo Ansa Studios das Gebäude minimalinvasiv, aber maximal praktisch ertüchtigt. Auf drei Stockwerken gibt es kompakte Begegnungs-, Arbeits- und Schauräume sowie einen Filmsaal und eine Bibliothek. Alle Räume sind während der Öffnungszeiten ohne Eintritt frei zugänglich. Das gesamte Inventar wurde nachhaltig und günstig aus dem Bestand des Museums zusammengestellt, die Möblierung etwa aus ehemaligen Schautafeln geschreinert. Für die Zwischennutzung haben die Mitarbeiter*innen des Museums Villa Stuck auch die wechselvolle Geschichte des Hauses aufgearbeitet: Der Komplex in der Ludwigsvorstadt beherbergte während der NS-Zeit nicht nur im Rückgebäude eine Niederlassung der Geha-Werke – die Zwangsarbeiter beschäftigten. Sondern seit 1932 auch die Pension „Patria“: Hier wurden wenig später Münchner Jüdinnen und Juden auf eigene Kosten zwangsweise einquartiert, nachdem man ihre Wohnungen enteignet hatte. Und ehe sie emigrieren konnten oder in die Vernichtungslager deportiert wurden. Zwischen 1981 und 1992 war dann der Verein „Rinascità“ ansässig, der von italienischen Kommunisten als Beratungsstelle und mit reichem kulturellen Angebot für Arbeitsmigrant*innen gegründet wurde. Weil man hier die antifaschistische Tradition hochhielt, stand auf dem Programm in jedem Jahr auch der gemeinsame Besuch der Gedenkstätte des KZ Dachau.

Im Bewusstsein der Geschichte des Hauses lud Kuratorin Helena Pereña nun Yael Bartana (*1970) ein, den Kunstherbst zu eröffnen: Die in Berlin und Amsterdam lebende israelische Künstlerin stellt wie zuletzt in „Licht unter den Völkern“ im deutschen Biennale-Pavillon in Venedig elementare Fragen der Menschheit. In ihrer Münchner Präsentation imaginiert sie, ob und wie anders Frauen als Männer in politischen Schlüsselpositionen agieren. Die Video-Installation „Two Minutes To Midnight“ fügte Bartana aus den Aufzeichnungen mehrerer von ihr inszenierter Live-Performances an Museen in Europa und den USA zusammen. Darin soll die rein weiblich besetzte Regierung eines fiktiven Landes die nukleare Bedrohung durch den egoman-kindisch-irren Präsidenten „Twittler“ abwenden. Die Live-Inszenierungen von 2017 und 2018 waren auch eine Auseinandersetzung mit Donald Trumps US-Präsidentschaft. Das Protagonistinnen-Team besteht aus Schauspielerinnen, die die Präsidentin und ihre Mitstreiterinnen darstellen sowie einem Gremium echter Expertinnen für Militär, Politik, Psychologie und internationales Recht. Sie treffen alle sich in Bartanas so genanntem „Friedensraum“, der visuell und ideell an den komplementären „War Room“ in Stanley Kubricks Film-Klassiker, „Dr. Seltsam und wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ anknüpft. Über allem schwebt die überdimensionierte Doomsday-Uhr, deren Zeiger zwei Minuten vor Mitternacht anzeigen. Das eigentliche Ziel der Versammlung war, eine Friedenspolitik ohne Atomwaffen auf den Weg zu bringen. Was allerdings, wenn ein Aggressor sich die daraus resultierende Defensivschwäche zunutze macht? Unter der akuten atomaren Bedrohungslage geht es dann vor allem darum, Strategien der Reaktion zu diskutieren. Dabei dreht Bartana die Rollen und Verhaltensmuster teilweise sehr plakativ um, etwa wenn die Präsidentin Zigarre raucht oder der Kellner Obst mit nacktem Oberkörper serviert. Zugleich macht die Künstlerin damit gängige Mittel und Mechanismen der Bildpropaganda von Macht quasi gespiegelt sichtbar. Doch verhalten sich Frauen wirklich anders als Männer, wenn es um nichts weniger als das Überleben der Menschheit geht? Oder sind wir durch seit Jahrhunderten von Männern gemachten Regeln so beeinflusst und in den Ereignisparametern und Reaktionsmustern festgelegt, dass wenig Spielraum für eine grundlegend andere Politik bleibt? Es sind Fragen, die vielseitig erörtert, aber nicht endgültig geklärt werden können. Am Ende steht eine utopische Vision, die sich in Schwarzweiß vom zuvor in Farbe gedrehten Szenario deutlich abhebt.