Pan Daijing, Mute: Sirenengesang im Monumentalbau

Pan Daijing
Pan Daijing, Mute, 2024, Videostill, Courtesy the artist, © Pan Daijiing
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22. März 2024
Text: Roberta De Righi

Pan Daijing: Mute.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 14. April 2024.
www.hausderkunst.de

Pan Daijing
Pan Daijing, Mute, 2024, Videostill, Courtesy the artist, © Pan Daijiing

So ähnlich müssen sich die Sirenen angehört haben, die Odysseus beinahe um den Verstand brachten und ihn in den Tod gelockt hätten, wäre er nicht am Schiffsmast angebunden gewesen: Durch die steinernen Säle im Westflügel des Münchner Hauses der Kunst schweben betörend sanfte, hohe Frauenstimmen, durchwirkt von seltsam unbegreifbaren Klängen. Das Dämmerlicht tut ein Übriges, damit man hier nach einer kurzen Weile Ort und Zeit vergisst. Die 1991 im chinesischen Guiyang geborene und aktuell in Berlin lebende Komponistin, Performerin und Künstlerin Pan Daijing bespielt in „Mute“, ihrer ersten großen Einzelschau, die bis auf ihre überwiegend immateriellen Interventionen leeren Schau-Räume. „Woher kommt das Licht? Welche Muster fallen dir im Raum auf? Hör auf die Geräusche. Kannst du erkennen, woher sie stammen?“ Der Ausstellungsfolder liest sich wie ein Kinderbuch mit Anleitung zur Erkundung der Sinne. Man muss sich darauf einlassen, dann öffnet sich der Raum für eine meditative Bewusstseinserweiterung ohne Denk-Kontrolle.

Mit seinem ausgewählt ätherischen Programm holt Haus-der-Kunst-Chef Andrea Lissoni das dauergestresste, geistig ausgelaugte, verwöhnte Münchner Publikum erstaunlich erfolgreich im Bedürfnis nach Achtsamkeit, Sinneserfahrung und Kontemplation ab. Außerdem hat er sich zum Ziel gesetzt, die „Stimmen des Gebäudes“ zum Klingen zu bringen. So sorgt Pan Daijing im umfangreichen Musik-Programm mit Performances und Konzerten u.a. in einer Reihe mit Katharina Ladik und Meredith Monk für die „Vernetzung der Generationen und Kontinente“.

„Mute“ sei, so Lissoni, eine Art „Superenvironment“, das alle Bereiche der Architektur miteinbezieht. In der maroden Stahlstruktur der Lichtdecke hängen nun Spiegel, Screens, Spots und Boxen, die die Räume darunter zur Inszenierung werden lassen. Sie lösen die materiellen Grenzen scheinbar auf und schaffen eine Folge von Licht- und Klangwolken. Während die Konturen der Innenräume verwischen, wird der Kontrast zwischen Innen und Außen betont: Für illusionistische Wirkung sorgen grelle Lichtquellen, die die hohen Fenster nach Westen so hinterleuchten, dass man zu jeder Tageszeit den Eindruck von starkem Sonneneinfall hat. Und ob Löcher im Steinfußboden oder gleißende Leitungsrohre – Pan Daijing lenkt den Blick auf das Besondere im Alltäglichen. Die Grenze zwischen bloßem Sein und Inszenierung ist fließend. Diejenige zwischen Publikum und Akteur*innen auch.

Bei der Eröffnungsperformance wurde klar, dass die Trennlinien bewusst verwischt werden: Die Choreografie setzt beiläufig ein. Eine junge Frau schreitet mitten durch das seit einer halben Stunde gespannt wartende Publikum und beginnt, auf einer der wenigen Sitzbänke ausführliche Verrenkungen zu machen. Nach und nach kommen sieben weitere Performer*innen aus der Tiefe des Raumes hinzu: Sie erklimmen Podeste, schreiten über Treppen, werfen die Arme in die Luft, sinken zu Boden, rappeln sich wieder auf. Sie verschlingen sich ineinander, trennen sich und interagieren mit den Zuschauer*innen. Das alles ist tänzerisch nicht außergewöhnlich, aber das Kunst-Publikum zeigt sich von der Unbedingtheit des Willens zur konzeptuellen Bewegung beeindruckt.

Während der sechswöchigen Laufzeit von „Mute“ werden die Räume täglich in den frühen Abendstunden von Tänzer*innen aktiviert. Die Ausstellung endet am 13. April mit einer weiteren großen Live-Performance. Doch tatsächlich ist die Wirkung der Licht- und Klangräume ohne Performance fast noch intensiver: Und man muss schon Wachs in den Ohren haben, um von den hellen Stimmen im Dunkel nicht ergriffen zu werden.