Glitch. Die Kunst der Störung: Index des technischen Knockouts

Glitch, Peter Weibel
Peter Weibel, The Endless Sandwich, 1970/1972, Videostill, © Nachlass Peter Weibel
Preview > München > Pinakothek der Moderne
26. Februar 2024
Text: Roberta De Righi

Glitch. Die Kunst der Störung.
Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 17. März 2024.
www.pinakothek.de
Katalog bei Distanz, Berlin 2023, 384 S., 42 Euro | ca. 57.90 Franken.

Glitch, Ulrichs
Timm Ulrichs, aus der Serie: Landschafts-Epiphanien, 1972/87, Museum Folkwang, Essen, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Glitch, Jack Elwese
Jake Elwes, Zizi – Queering the Dataset, 2019, Courtesy the artist, © Jake Elwes
Glitch, Wolfgang Tillmans
Wolfgang Tillmans, Freischwimmer 52, 2004, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Courtesy Galerie Buchholz

Sitzt ein Mann vor dem Fernseher und sieht sich im Fernseher und sieht sich im Fernseher… Eine unendliche Bilderreihe. Als das kleinste Bild im Bild wackelt, setzt sich der Moment, in dem der Mann versucht, die Störung zu beseitigen, Bildschirm für Bildschirm zeitversetzt fort. Peter Weibels Ein-Kanal-Video „The Endless Sandwich“ war 1970/72 eine pointierte Auseinandersetzung mit der massenmedial wirksamen Technologie Fernsehen. Jetzt steht es am Anfang der Ausstellung „Glitch“ in der Münchner Pinakothek der Moderne. Der Begriff, der im Ursprung auf das Frühneuhochdeutsche und Jiddische im Sinne von „glitschen“, „weggleiten“ zurückgeht, wurde seit den 1950er Jahren in der Radio- und Fernsehtechnik verwendet. Im digitalen Zeitalter hat die Störung noch vielfältigere Formen und Ursachen – ob das WLAN abschmiert, das Handydisplay bricht, die Leitung knistert oder der Plasma­screen einfriert. Gerade der Fehler lenkt allerdings den Blick auf die Machart, weg vom Inhalt, frei nach Marshall McLuhans „Das Medium ist die Botschaft“.

In vier Kapiteln setzt sich die Münchner Schau mit der „Kunst der Störung“ auseinander und zeigt Bild- und Klangirritationen aller Arten, in Stand- und Bewegtbild, analog und digital, Soft- oder Hardware. Franziska Kunze hat die Präsentation zusammen mit Katrin Bauer stringent und konzeptuell klug kuratiert. Im ersten Raum sind unter dem Motto „Born to glitch“ jede Menge fotografische „Fehler“ – noch in Schwarzweißoptik – u.a. von Germaine Krull, Man Ray und Sigmar Polke inklusive theoretischer Erörterungen zu sehen und zu lesen, die das Medium seit seiner Erfindung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägen. Da führten Flusen und Schlieren auf dem Negativ in der Vergrößerung oder falsche Belichtung mitunter zu interessanteren Erscheinungen, als es das reine Abbild geboten hätte.

Im zweiten Kapitel „Loss of Control“ kann man multiple Möglichkeiten an Experiment und Manipulation beobachten. Etwa von Rosa Menkman, die 2010 in „A Vernacular of File Formats“ ihr Selbstbildnis von diversen digitalen Dateiformaten bis zur Unkenntlichkeit zersetzen ließ. In „Twisted Worlds“ wird Bildrealität auf Basis der gewonnenen Erfahrungen neu definiert und zusammengesetzt. Da lässt Inge Dick blaue Pixel schimmern und Timm Ulrichs erzeugt in seinen „Landschafts-Epiphanien“ mit Diapositivstreifen auf Leuchtkästen erstaunliche Licht- und Farbphänomene. Eindrucksvoll ist auch der Fotopapierbogen im Breitwandformat, den das Fotografen-Duo Broomberg & Chanarin 2008 als Kriegsberichterstatter in Afghanistan im Fond eines Panzers dabeihatte. Die Belichtung zeichnet einen Moment an der Front auf, ohne das Erlebte als Bild sichtbar zu machen. Walter Ebenhofer wiederum ließ einen Profi-Schützen mit einer Armbrust mehrfach auf eine Dia-Großpackung schießen. Der Schuss setzt die Belichtung des Materials in Gang, eine sehr direkte Bilderzeugung.

Im Raum „Critical Disruptions“ wird die Kunst der Störung schließlich bewusst eingesetzt, um etwa Aussagen zu unterstreichen, in denen die Starre gesellschaftlicher Normen in Bezug auf Herkunft, Klasse, Religion, Geschlecht und sexuelle Orientierung deutlich wird. So wie in dem Video „Zizi – Queering the Dataset“ des jungen britischen Künstler Jake Elwes, für die er eine Gesichtserkennungssoftware mit queeren Konterfeis gefüttert hat. „Störung“ meint hier Abweichung von heteronormativen Stereotypen und sie erzeugt ein eindrucksvolles Kompilat aus genderfluiden Versatzstücken, die sich immer neu zusammensetzen.

Aber auch wenn im absichtsvollen oder versehentlichen Technik-Knockout unzweifelhaft große Kreativität und subversives Potenzial steckt: In der seriellen Anschauung ist „Die Kunst der Störung“ naturgemäß eher ermüdend. Kaum ein Bild, nirgends, nur Flimmern, Flirren, Zirpen und Rauschen.