Out of the Box – 20 Jahre Schaulager: Ausgepackt!

Out of the Box
Gina Fischli, Schloss Babelsberg, 2019, Foto: Tom Bisig, Basel, © Gina Fischli
Review > Basel > Schaulager
7. September 2023
Text: Iris Kretzschmar

Out of the Box – 20 Jahre Schaulager.
Schaulager, Ruchfeldstr. 19, Basel-Münchenstein.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 19. November 2023.
www.schaulager.org

Out of the Box
Klara Lidén, Warm-up: State Hermitage Museum Theater, 2014), Foto: Tom Bisig, Basel, ©  Klara Lidén
Out of the Box
Peter Fischli, Ohne Titel, 2022–2023, Ausstellungsansicht Schaulager 2023, © Peter Fischli, Foto: Peter Fischli / Artist‘s image
Out of the Box
Anri Sala, Ravel Ravel Interval, 2017, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Chantal Crousel, Marian Goodman Gallery, Hauser & Wirth, © 2023, ProLitteris, Zurich

Eine Geburtstagstorte der jungen Künstlerin Gina Fischli (*1989) schmückt das Plakat. Der markante Bau des Schaulagers in Münchenstein, Besuchs- und Forschungsort für die Sammlung der Emanuel Hoffmann-Stiftung, feiert sein Bestehen und hat auch nach 20 Jahren nichts von seiner Faszination verloren. Es wird weiter aktuelle Kunst gesammelt – ein Erweiterungsbau ist bereits angedacht. Der Titel der neuen Ausstellung „Out of the Box“ knüpft an die innovative Idee des Schaudepots an, es wird ausgepackt.

Auf zwei Geschossen sind 25 Positionen und 40 Werke zu sehen. Neben Neuerwerbungen aus den letzten zehn Jahren, sind auch bekannte Arbeiten und zeitbasierte Medien in massgeschneiderten Videoboxen anzutreffen. Das Leitthema der Schau wurde mit Augenzwinkern inszeniert: Richard Artschwager (1923-2013) zeigt die Verwandlung eines Pianos zur Holzbox, ein zerknautschter Blechkubus von Monika Sosnowska (*1972) steckt in der Ecke und Peter Fischlis (*1952) „Cans, Bags & Boxes“ sind Nachbildungen banaler Alltagsbehälter. Jean-Frédéric Schnyder (*1945) weidet in „Handle with Care“ Bananenschachteln aus, um sie als noble Kirchenmodelle, genormte Einfamilienhäuschen und zerklüftete Slums in den Kunsthimmel zu erheben, ohne dabei auch nur den kleinsten Schachtelrest zu verschwenden. Auf einem Stapel von alten Kartons steht das Video „Warm-up: State Hermitage Museum Theater“ der schwedischen Künstlerin Klara Lidén (*1979) als wäre es zufällig in die Altpapiersammlung geraten, während sich Lidén als unbeholfene Laientänzerin unter Balletteusen des staatlichen Ermitage-Theaters mischt und deren gezierte Bewegungen ironisch persifliert. Mit performativen Videoarbeiten erobert Lidén den öffentlichen und privaten Raum. Sie steigt mit „Out to Lunch“ aus dem heimischen Kühlschrank, um sich in „Your’re all places that leave me breathless“ auf eine waghalsige Klettertour auf einem Baugerüst zu begeben oder in „Closer now“ mit Purzelbäumen durch die Strassen von Marseille zu rollen.

Während wir Lidéns Anstrengungen aus der Distanz zuschauen, bewegen wir uns bei Anri Salas (*1974) Installation „Ravel Ravel Interval“ mitten zwischen den Händen zweier Pianisten, die auf grossen Screens einhändig dasselbe Stück interpretieren. Kompositionen für die linke Hand entstanden nach den Weltkriegen, damit verletzte Pianisten ihren Beruf nicht aufgeben mussten, so auch das „Concerto pour la main gauche“ von Maurice Ravel. Es wurde für Paul Wittgenstein, Bruder des Philosophen Ludwig Wittgenstein, komponiert, um damit den Verlust des rechten Arms wettzumachen. Einen Schwerpunkt innerhalb der Schau bildet der Fokus Dieter Roth (1930-1998). Neben Schoko-Objekten kann man auf 128 Monitoren dem Künstler bei alltäglichen, privaten Verrichtungen zuschauen. Die „Soloszenen“, in Island, Hamburg und Basel entstanden, wirken wie eine Vorwegnahme von Facebook & Co. Seiner zerfallenden Zuckerinstallation „Selbstturm; Löwenturm“, die in einem Raum beim Museum Gegenwart im St. Alban Quartier fest installiert ist, wurde zudem eine gewichtige Publikation gewidmet.

Eine nächtliche Reise zum Mond zeigt Martin Honert (*1953) mit einer grossen Laterne, die in Anlehnung an ein Märchen Kindheitserinnerungen wachruft. Mit Tacita Deans (*1965) dreiteiliger Arbeit „The Dante Project“, entstanden für das Royal Opera House in London, reist man von der Hölle als düstere Bergwelt auf einer Wandtafel ins Fegefeuer und in ein filmisches Paradies, das Ähnlichkeiten mit den Tapisserien „d.o.pe.“ des Düsseldorfer Fotokünstlers Thomas Ruff (*1958) hat. Sie gleichen psychedelischen Bildern der 1970er Jahre, sind fraktale Strukturen, mit spezieller Software generiert und spielen auf den Text „The Doors of Perception“ von Aldous Huxley an, der mit der Erweiterung des Bewusstseins experimentierte. Gina Fischlis Torte begegnet man wieder zwischen struppigen Kuscheltieren und Burgen, die humorvoll die Ästhetik von Spielzeug aufnehmen.