Michael Armitage, Pathos and the Twilight of the Idle: Es ist das Bild, das zählt

Michael Armitage
Michael Armitage, Conjestina, 2017, Courtesy the artist und San Francisco Museum of Modern Art, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, 2023, © Michael Armitage, Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter
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8. September 2023
Text: Julie Metzdorf

Michael Armitage: Pathos and the Twilight of the Idle.
Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, Bregenz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 29. Oktober 2023.
www.kunsthaus-bregenz.at

Michael Armitage
Michael Armitage, Pathos and the twilight of the idle, 2019, Courtesy of the artist und Los Angeles County Museum of Art, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, 2023, © Michael Armitage, Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter
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Michael Armitage, Mother’s Milk, 2022, Courtesy the artist und Christen Sveaas Art Collection, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, 2023, © Michael Armitage, Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter

Eine schwarze Frau steht nackt auf einem Podest, einzig ihre Hände stecken in dicken schwarzen Boxhandschuhen. Das Porträt des britisch-kenianischen Malers Michael Armitage (*1984) zeigt die Ausnahme-Boxerin Conjestina Achieng, Afrikameisterin und Fünfte der Weltrangliste. Hinter ihrem Rücken lauern die Fratzen dunkler Gestalten: die Boxerin leidet unter psychischen Problemen, was die kenianischen Medien hämisch ausschlachteten. Michael Armitage gibt ihr mit seinem Porträt ihre Würde zurück, indem er sie so zeigt, wie sie ist: stark und verletzlich. Dazu passt, dass das Gemälde riesige Ausmaße hat, aber auch eine lange Naht, die sich wie eine Narbe über das Bild zieht. Armitage malt nicht auf klassischer Leinwand, sondern auf einem Gewebe aus Rindenfasern, dem sogenannten Lubugo. Dieser Stoff wird in Ostafrika als Leichentuch verwendet, zum Verbrennen der Toten. „Ich fand das Rindengewebe auf einem Touristenmarkt in Nairobi, der Stoff wird aber in Kenia gar nicht hergestellt, er kommt aus Uganda“, sagt Armitage im Interview. „Trotzdem wurde er als eine Art Stammes-Souvenir verkauft. Dieser totale Verlust von Zweck, Funktion und Bedeutung und die Umwidmung zum Touristenprodukt sagt viel aus über die kulturellen Veränderungen, die durch die Entwicklung Kenias entstanden sind.“ Die Nähte, Falten und manchmal auch Löcher des Gewebes erinnern an Haut. Eine Haut, der die soziopolitische und kulturelle Geschichte Ostafrikas eingeschrieben ist. Diese Geschichte wird so – ganz physisch – zur Basis von Armitages Gemälden.

Michael Armitage wurde in Nairobi geboren und hat in London Malerei studiert. In seinen großformatigen Ölgemälden verbindet er europäische und ostafrikanische Themen und Maltraditionen. Unter dem Titel „Pathos and the Twilight of the Idle“ widmet das Kunsthaus Bregenz dem Maler gerade eine große Einzelausstellung. Das titelgebende Gemälde zeigt eine schwarze Figur, die aus der Mitte des Bildes dem Betrachter entgegen rennt. Die Figur trägt blaue Shorts und einen Büstenhalter, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, ist unklar. Vor dem Körper baumeln zwei Dosen Tränengas, in den Händen schwingen Steinschleudern: Kein Zweifel, hier wird Unruhe gestiftet. Und die Figur ist nicht allein: Am unteren Bildrand marschiert eine ganze Reihe Protestierender. Sie tragen bunte Perücken, schwenken Fahnen, rufen etwas. Wogegen sich ihr Protest richtet, wer genau hier wo und wann demonstriert, ist dem Bild nicht zu entnehmen. Aber das ist nicht wichtig: Was wir sehen, ist ein allgemeingültiges Bild von Menschen in Aufruhr. Es ist ganz Stimmung, pulsiert, ja brodelt geradezu. Zu diesem Eindruck von Lebendigkeit trägt auch die Oberfläche bei: „Ich versuche die gestische Bewegung der Pinselstriche sichtbar zu lassen, damit die Unmittelbarkeit zwischen mir und der Oberfläche und der Oberfläche und dem Betrachter spürbar bleibt“, sagt Armitage. „Das ist wie beim Schreiben: Jemand schreibt etwas auf Papier und wenn du es liest, hast du das Gefühl, dass da die Stimme einer anderen Person in dir ist. Genauso ist es in der Malerei: Da ist irgendetwas ganz Tiefes, durch das man – auf einem sehr abstrakten Weg – mit jemand anderem kommunizieren kann.“

Muslimische Teufelsaustreibungen, ein musikalisches Come Together auf einer Müllhalde oder verbotene erotische Tänze aus Tansania: Armitages Themen können europäischen Betrachtern noch so fremd sein, seine Bilder wirken immer auch seltsam vertraut. Denn seine Kompositionen und Motive spielen direkt auf europäische Vorbilder an. Der Steinewerfer etwa ist Tizians berühmter Assunta, der Aufnahme Mariens in den Himmel aus Venedig nachempfunden; an anderer Stelle erkennt man Goya, Manet oder Schiele. Ugandisches Rindengewebe trifft auf Ölfarbe aus Europa, eine afrikanische Boxerin auf die Alptraumstimmung eines Johann Heinrich Füssli und Ritualtänze aus Tansania spiegeln sich im Exotismus eines Paul Gauguin: Zuschreibungen wie europäische oder afrikanische Kunst lösen sich bei Michael Armitage auf. Was zählt, ist einzig das Bild. Und wie Armitage diese Bilder aufbaut, wie Thema, Malgrund und Technik, Komposition, Motive und Stimmungen ineinandergreifen, gehört zum Besten, was die Kunstwelt derzeit zu bieten hat.