Pippa Garner, Act Like You Know Me: Hybride zwischen Kunst und Konsum

Pippa Garner
Pippa Garner, Act Like You Know Me, Ausstellungsansicht Kunsthalle Zürich, 2023, Foto: Annik Wetter
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1. Mai 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Pippa Garner, Act Like you know me.
Kunsthalle Zürich, Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 7. Mai 2023.
wwww.kunsthallezurich.ch

In den frühen 1950er Jahren, als Pippa Garner noch ein Kind war und auf den Namen Phil hörte, hatte der Fortschrittsoptimismus die US-Gesellschaft fest im Griff. Modernes Ingenieurwesen, so die Überzeugung, würde das Unmögliche möglich machen. In der Alltagskultur waren es die Erfinder, die diese Botschaft ins Leben der Menschen trugen, als Magiere, Hausierer und Künstler in Personalunion. Die Zeitungen waren voll mit Kleininseraten für Haushaltshelfer aller Art. Inspiriert von dieser seltsamen Kultur der Zuversicht, die suggerierte, dass es für jedes Problem eine Lösung gab, liegen in der Kunsthalle Zürich derzeit unzählige Magazinartikel über skurrile Erfindungen der 1942 in Chicago geborenen Pippa Garner aus. Sie sind sauber unter Glas arrangiert, auf drei großen Tischen, die sich langsam drehen, sobald man sich beim Lesen an sie lehnt, als ginge es darum, schon in diesem Detail zu zeigen, das nichts fix ist im Leben und Werk Garners, sondern alles in Bewegung, als ein ständiges selbstbestimmtes Zurückweichen, Ausweichen, Entweichen.

Wie sich Garner zeitlebens konsequent der Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb entzog, obwohl doch viele ihrer Arbeiten und Interventionen darauf zielten, als Kunst wahrgenommen zu werden, zeigt die sehenswerte Werkschau der heute 81-Jährigen. Statt in Galerien und Museen suchte sie die Öffentlichkeit lieber in Printmagazinen und Talkshows, wo sie ihre Erfindungen vorstellte. Auf den ersten Blick wirkten diese oft wie Parodien auf die Warenwelt im Spätkapitalismus und setzten dem Geist der Obsoleszenz die Nachhaltigkeit der Poesie entgegen. Berühmt wurde sie 1974 mit dem für eine Fotostrecke im „Esquire“-Magazin entwickelten „Backwards Car“, für das sie einen Chevrolet auseinanderbaute und die Karosserie verkehrt herum wieder auf das Fahrwerk setzte, so dass der Wagen rückwärts zu fahren schien, obwohl er vorwärts fuhr. Ihr „Half Suite“ von 1982 – ein bauchfreier Herrenanzug – machte später in der Haute Couture Furore. Kurz darauf erschienen drei Bücher mit ihren gesammelten Prototypen von der Müllrakete bis zum Palmwedelschirm, die sich alle als Hybride zwischen Kunst und Konsum entziffern ließen und als Materialisierungen der Idee, die als Essenz im Zentrum eines jedes kreativen Prozesses steht. Ab Mitte der 1980er Jahre rückte Garner schließlich ihren eigenen Körper in den Fokus. „Das Konzept der Geschlechtsumwandlung als Verbaucher:innentechnologie begann mich zu faszinieren“, schrieb sie. Als Mann geboren, begann Garner eine Hormontherapie, ließ sich operieren und reflektierte ihre Transition sowie die Reaktionen ihrer Umgebung ab 1995 in zahlreichen konzeptuellen Arbeiten, die mit anarchischem Witz die gängigen Vorstellungen von non-fluider, binärer Geschlechtlichkeit aus den Angeln hoben.