Katharina Grosse, Studio Paintings 1988-2022: Domestizierte Raummalerei

Katharina Grosse KM Bern
Katharina Grosse, Ohne Titel, 1998, Foto: Jens Ziehe, © 2023, ProLitteris, Zurich
Review > Bern > Kunstmuseum Bern
10. April 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Katharina Grosse: Studio Paintings 1988-2022.
Kunstmuseum Bern, Hodlerstr. 8, Bern.Dienstag 10.00 bis 21.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 25. Juni 2023.
www.kunstmuseumbern.ch
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hatje Cantz, Berlin 2022, 312 S., 50 Euro | ca. 72.90 Franken.

Katharina Grosse KM Bern
Katharina Grosse, Ohne Titel, 2009, Foto: Olaf Bergmann, © 2023, ProLitteris, Zurich
Katharina Grosse KM Bern
Katharina Grosse, Ohne Titel, 2013, Museo Helga de Alvear, Cáceres, Spanien, © 2023, ProLitteris, Zurich

Katharina Grosse ist bekannt für ihre mit Spritzpistole ausgeführte Malerei, die keine Grenzen kennt und mit unstillbarem Oberflächenhunger nicht nur Leinwände und Innenräume überzieht, sondern auch ganze Architekturen. 2016 etwa war es ein von Hurrikan Sandy zerstörtes Barackenensemble der US Army, das sie auf der Rockaway Peninsula in New York in Farbe tauchte, samt dazu gehörigem Strandabschnitt. In der Einzelausstellung „It Wasn’t Us“, die Grosse 2020 mitten in der Corona-Pandemie im Hamburger Bahnhof in Berlin zeigte, führte sie die monumentale Sinnlichkeit ihrer Malerei dann in einer vom Innen- in den Außenraum wuchernden Bewegung vor, die aufgrund ihrer schieren Größe und Unüberschaubarkeit statt in einem Bild eher in so etwas wie einer Farbgroßwetterlage in Berlin-Mitte mündete.

Im Kunstmuseum Bern zeigt sich die 61-Jährige, die abwechselnd in Neuseeland und Berlin lebt, nun von einer reduzierten Seite – zumindest auf den ersten Blick. „Studio Paintings 1988-2022“ heißt die umfangreiche Soloschau. Zu sehen sind in luftiger Hängung 43 Bilder aus den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten. Die Formate sind oft beachtlich, sprengen in den frühen Jahren aber noch nicht die Keilrahmen, die ihre Bildräume begrenzen. Noch während ihres Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Gotthard Graubner erkundete sie in ihren ersten Atelierbildern die Konkurrenz der Farben, die sich auf der Leinwand gegenseitig überlagerten und verdrängten und dabei so etwas wie eine Bühne für den Streit von Figur und Grund schufen – und für die Beobachtung, dass in der Konfrontation der Farben überhaupt erst Raum im Bild entstehen kann. Schön zu sehen ist das in Bern in einer frühen, in dünnen Lasuren aufgetragenen Komposition aus unscharf begrenzten Farbfeldern in Grün, Rot und Orange. Die Komplementärkontraste an den Übergangszonen erzeugen einen flirrenden Eindruck von Dreidimensionalität und verweisen zugleich auf eine Qualität von Malerei, die Grosse besonders schätzt. „Malerei ist nicht linear“, sagt sie. „Anders als jedes andere Medium erlaubt sie uns, das Ergebnis aller vorangegangenen Malhandlungen gleichzeitig zu sehen.“

In der gezielten Aufhebung zeitlicher und räumlicher Ordnungen entfaltet Grosse eine enorme Virtuosität. Zunächst mit dem Pinsel, der mit den Jahren immer breiter wurde, wodurch auch ihr Körper zunehmend präsent war als Kraftquelle der ausladenden Malbewegungen in den Bildern. Später, Ende der Neunziger, griff sie dann erstmals zur Sprühdose, ignorierte die tradierten Beschränkungen des Tafelbildes und hinterließ in der Kunsthalle Bern unterhalb der kunstvollen Stuckdecke eine wolkige Wandmalerei in sattem Dunkelgrün. Eine transportable, im Leinwandviereck domestizierte Version dieser Intervention, mit der Grosse 1998 der internationale Durchbruch gelang, steht im Kunstmuseum Bern nun im Zentrum einer Chronologie der permanenten Entgrenzung, Verdichtung und Verfeinerung ihres Malereiprogrammes, das in der Verwendung von Malmaschinen, der Betonung der Bewegung im Raum und des körperlichen Aktes des Bildermachens weit über das Einzelbild hinausweist. Als isolierte Resultate eines rauschhaften Malprozesses geben diese Bilder Einblick in das vielfältige Spiel von Zufall und Kalkül, Experimentierlust und Präzision, großer Geste und Liebe zum Detail, das Grosses Arbeitsweise prägt. Manchmal ist es ein vertrockneter Busch aus ihrem Garten in Neuseeland, den sie als reliefartiges Bildelement, als Störfaktor und Farbzerstäuber auf der Leinwand platziert. Dann wieder schaufelt sie Erdhaufen auf ihre Bilder oder Berge von Kartonfetzen als ungeformte Schablonen für konzentrierte Arbeitseinsätze mit der Spritzpistole. Es sind vor allem diese jüngsten Arbeiten, in denen es Katharina Grosse gelingt, die geballte Energie ihrer raumgreifenden Malereiinstallationen auf eine Fläche von wenigen Quadratmetern zu übersetzen. Großes Kino in handlichem Format.