Vorsicht Glas! Bleiglas für das Modehaus

Jan & Casper Luyken, Der Glasbläser, aus: Het menselyk bedrijf, Amsterdam, 1694, Draiflessen Collection, Mettingen
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10. April 2023
Text: Jens Bülskämper

Vorsicht Glas! Eine Doppelausstellung.
Die Bleiglasfenster von Joep Nicolas aus C&A Utrecht und Einzelscheiben aus der Liberna Collection.

Draiflessen Collection, Georgstr. 18, Mettingen.
Mittwoch bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, jeder 1. Donnerstag 11.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 20. August 2023.

www.draiflessen.com

Elias, von Raben gefüttert, Südliche Niederlande, 1525-1550, Draiflessen Collection, Mettingen
Der verlorene Sohn wird aus dem Bordell verjagt, Südliche Niederlande, ca. 1540, Draiflessen Collection, Mettingen
Joep Nicolas, Sogenanntes Stifterfenster mit Adam und Eva, Wappen, Inschrift und Datierung, 1939, Draiflessen Collection, Mettingen

[— artline Nord] Wer sich Richtung Mettingen aufmacht, klimafreundlich per ÖPNV, also im Bus vom Osnabrücker Hauptbahnhof tief ins Westfälische reist, dort per pedes der Beschilderung „Draiflessen Collection“ folgt, der mag staunen, wenn er schließlich davorsteht: Die beschauliche Ortschaft kann mit einem Museum aufwarten, das aus Kunstszene-Perspektive zwar die Peripherie schmückt, sich im Auftritt aber auf Augenhöhe mit Spielstätten des internationalen Betriebs bewegt. Großzügig im Zuschnitt, gediegen im Ambiente präsentiert sich das 2009 eröffnete Haus dem Besucher. Der gigantische Hauptsaal zeigt bis Ende Februar eine raumgreifende Installation aus Stühlen aller Couleur. Einem Offline-Ebay gleich, kann man hier per Höchstgebot altgedientes Sitzmobiliar ersteigern.

Diesem bunten Environment im Zeichen der Nachhaltigkeit steht im Erdgeschoss eine Kabinettausstellung gegenüber, die Preziosen der Glasmalerei vorstellt – und darin auch eine bemerkenswerte Unternehmensgeschichte spiegelt. „Draiflessen“ – jener Neologismus verweist auf die Textilhandels­dynastie Brenninkmeijer, der sich die gleichnamige Collection verdankt. Gebürtig aus Mettingen und jedermann über das Modehaus C&A bekannt, lässt das Sammlungslabel die historischen Wurzeln des Familienimperiums anklingen und bedient sich dafür der Mundart westfälischer Wanderhändler, zu denen man sich dereinst zählte. „Drai“ erzählt von jener Fortune in Handelsdingen, dem erfolgreichen „Drehen“ der Waren, spielt im Sinne der Drei-faltigkeit konnotativ auch auf die katholische Konfession der Familie an. „Flessen“ wiederum meint den Flachs, aus dem jenes Leinentuch hergestellt wurde, das man als fliegende Händler, den „Tüötten“, seinerzeit vertrieb. Seit jeher verkaufte man fleißig in die Niederlande, war bald angehalten dort mit fester Adresse vertreten zu sein, etwa in Utrecht. Für jenes C&A-Haus wurde 1939 dann der Roermonder Glasmaler Joep Nicolas mit der kunstvollen Gestaltung einer Reihe Bleiglasfenster betraut. Ein Besonderes gar auf Rechnung der Belegschaft als Geschenk an ihren Arbeitgeber. Es zeugt von einiger Verbundenheit der Mitarbeitenden zum Betrieb und zierte die Filiale bis zu ihrer Schließung. Zwei Jahre später, 2019, ging es in die Sammlung ein und kann nun museal aufbereitet im Close-up inspiziert werden.

Wie sich die faszinierende Kunst der Glasmalerei überhaupt ins Werk setzt, zeigen aufschlussreiche Videoscreenings: Aus dem zunächst opak mit Schwarzlot eingestrichenen Glas werden Zeichnung und Malerei sozusagen invers hervorgebracht, zum Lichte hin freigekratzt, wenn man so will. Tatsächlich gelbliches, sogenanntes Silbergelb setzt koloristische Akzente. Im Ofen wird die Malerei dann ins Glas gebrannt. Schließlich werden die Scheiben in Bleiruten verlegt und zu Paneelen verlötet. Offensichtlich mit robustem Ergebnis, das den Dezennien standhaft Paroli bietet – Nicolas’ Fenster ist hervorragend erhalten. Ein Adam-und-Eva-Motiv mit Maßband und Schere fiel dem Glaskünstler ein, auch als malender Werbetexter tat er sich hervor, in etwa: „Ihre Nachkommen bewegen sich viel freier / Und wählen Kleidung von Brenninkmeijer“. Gänzlich als Kunsthistoriker fühlen darf sich, wer den Studiensaal des Hauses besucht, das zweite Kapitel der Schau: Hier gelangt hinterleuchtete Glasmalerei aus Spätgotik und Renaissance zur Aufführung. Narrative Kleinode in Grisaille, deren Gestaltung mitunter als sogenannte „Exemplata“ zum tugendhaften Leben anregen sollten; was auf den ersten Blick etwa als Jüngling vor einer Burg erscheint, stellt tatsächlich den unsanften Rausschmiss aus einem Bordell dar. Flankierend darf bei konservatorisch gebotenen 53% Luftfeuchtigkeit erlesene Grafik von Dürer, Rembrandt und Co. in Augenschein genommen und sich auch an deren betörend moduliertem Lichtspiel delektiert werden.