Karrabing Film Collective: Wonderland.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 30. Juli 2023.
www.hausderkunst.de
Die Cox Halbinsel unweit von Darwin im Norden Australiens ist eine unwirtliche Gegend. Von der Hitze ausgedörrt, vom Wind gegerbt, von Salzwasser durchdrungen – und von den Umweltsünden internationaler Konzerne verseucht. Dort, im Gebiet um Belyuen, ist das Karrabing Film Collective zuhause. Mit Bewegtbildgeschichten zwischen Aktivismus und Saga gewannen sie bereits einige Videokunst-Preise; unter dem Titel „Wonderland“ stellt das Haus der Kunst jetzt das indigene Kollektiv in einer ersten umfassenden Schau in Europa vor.
Karrabing, was in der Emmiyengal-Sprache „Ebbe“ bedeutet, besteht seit der Gründung 2007 aus etwa 50 aktiven Mitgliedern verschiedener in und um Belyuen ansässiger indigener Gruppen mit fünf unterschiedlichen Sprachen. Das Motto der Gemeinschaft lautet „Five languages, dozen dreams, one land“. Für die filmische Arbeit, mit Handy- oder Handkamera gedreht, gelten die Regeln: Kein Drehbuch, keine Hierarchie. Darüber hinaus arbeitet Karrabing visuell viel mit Überblendungen und einem Sound, der die Hitze hörbar macht.
Anfangs kann man der Erzählweise in nicht-linearer „Traumzeit“, wie westliche Wissenschaftler das Konzept von Zeit und Raum der indigenen Kultur nannten, schwer folgen. Die Riten um den Schweiß der Lebenden und diverse Totems wie Kugan (wilder Honig), Murrtomurrto (lange Yamswurzel) oder Nunggudi (schwarze Ringelnatter) sowie die mythischen Narrative von Geistern und Meerjungfrauen erscheinen zunächst bizarr. Doch das gibt sich bald. Wenn man einige der Filme und erklärenden Dokumentationen angesehen hat, nähert man sich dem großen Ganzen – und erkennt die Gemeinsamkeiten in einer brutal globalisierten Welt.
Das Handeln der Menschen von Belyuen ist geprägt vom ehernen Grundsatz „Wir selbst hoffen, die zukünftigen Ahnen zu sein“ – und dem Imperativ, jene zu ehren und ihnen etwas zurückzugeben. Dementsprechend behandeln sie auch die Natur, ihr Land, mit großem Respekt – nicht zuletzt motiviert durch das empirische Wissen um die Endlichkeit seiner Ressourcen.
Das Karrabing Kollektiv entstand denn auch aus einem Impuls des Widerstands, als es auf der Cox Halbinsel zu Ausschreitungen aufgrund ungerechter Landverteilung durch die Behörden kam. Die Fronten sind jedenfalls klar – da stehen „Blackfella“ gegen „Whitefella“ zusammen. Diese gruppenübergreifende Solidarität ist es wohl auch, die den Titelbegriff „Wunderland“ erklärt. Eine anthropologisch-romantische Verklärung wäre indes nicht angebracht, denn das Leben, das Karrabing zeigt, ist keineswegs paradiesisch: Man arbeitet sich auch an menschlichen Unzulänglichkeiten und daraus resultierenden Konflikten ab, stets bemüht, die Ahnen nicht zu sehr zu verärgern.
Der fünfteilige Zyklus „Day in the Life“ etwa greift alltägliche Probleme auf. Von außen erschwert wird der Alltag in Belyuen durch eine diskriminierende Bürokratie und quasi spätkolonialen Rassismus, wie ihn im zweiten Teil der Serie etwa der rechte Radiomoderator Alan Jones verbreitet. Da überlegen Eltern in Belyuen, ihre Kinder vor den Behörden zu verstecken, damit sie ihnen nicht – wie einst die so genannte „Lost Generation“ – zwischen 1900 und 1970 weggenommen werden.
In „Windjarrameru“ wiederum sollen vier Jugendliche bestraft werden, weil sie angeblich einen Kasten Bier geklaut haben. Das Sumpfgebiet, in das sie fliehen, wurde von einem internationalen Bergbauunternehmen vergiftet. Und es wird im Film – nicht juristisch, sondern moralisch – die Frage in den Raum gestellt: Welches Unrecht wiegt eigentlich schlimmer?
Da denkt man unwillkürlich an die hier herrschende Debatte um die Klima-Kleber. Welches ist das größere Vergehen? Straßen zu blockieren oder bei der Erderwärmung die Zwei-Grad-Marke reißen und die Erde zu einem höllischen Ort zu machen? So sorgt diese Ausstellung dafür, dass das andere Ende der Welt ganz nah ist.