Wayne Thiebaud: Tortenparaden als malerisches Ereignis

Wayne Thiebaud, Flood
Wayne Thiebaud, Flood Waters, 2006/2013, © Wayne Thiebaud Foundation / 2022, ProLitteris, Zurich
Review > Riehen > Fondation Beyeler
8. März 2023
Text: Iris Kretzschmar

Wayne Thiebaud.
Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr, Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 21. Mai 2023.
www.fondationbeyeler.ch
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Hatje Cantz, Berlin 2023, 160 S., 58 Euro | ca. 81.90 Franken.

Wayne Thiebaud, Pies
Wayne Thiebaud, Pie Rows, 1961, Foto: Matthew Kroening, © Wayne Thiebaud Foundation / 2022, ProLitteris, Zurich
Wayne Thiebaud, Student
Wayne Thiebaud, Student, 1968, Foto: Katherine Du Tiel, © Wayne Thiebaud Foundation / 2022, ProLitteris, Zurich
Wayne Thiebaud, Eating Figures
Wayne Thiebaud, Eating Figures (Quick Snack), 1963, Foto: Matthew Kroening, © Wayne Thiebaud Foundation / 2022, ProLitteris, Zurich

Die erste Retrospektive im deutschsprachigen Raum in Riehen ist auch die erste Ausstellung nach dem Tod des Künstlers. Wayne Thiebaud (1920-2021) in Arizona geboren, beginnt seine Laufbahn als Cartoonzeichner und arbeitet als 15-Jähriger kurze Zeit in der Trickfilmabteilung der Disney Studios. Später hängt er ein Kunststudium an der California State University in Sacramento an, um mit der erlangten Lehrbefugnis Kunst zu unterrichten. Die Kontakte zur New Yorker Kunstszene, etwa zu Willem de Kooning, bestärken sein Kunstwollen.

Es entstehen erste Stillleben, die Zuckerwerk darstellen und ihn in den 60er Jahren bekannt machen. Es folgen Figuren, Landschaften und Stadtansichten. Mit den Pop Art-Künstlern stellt er aus, ohne sich wirklich zugehörig zu fühlen. Seine Werke aus Alltags- und Konsumwelt sind zwar motivisch ähnlich gelagert, unterscheiden sich aber durch eine malerische Raffinesse. In den USA zur Berühmtheit gelangt, ist er in Europa weitgehend ein Unbekannter geblieben. Vielleicht ändert sich das gerade, denn in Riehen sind 65 Werke aus allen Schaffensphasen des Malers und Kunstprofessors zu erleben.

In Reih und Glied ausgerichtet präsentieren sich buntfarbige Leckereien in Vitrinen. Ein Defilee an Cupcakes zieht am Auge vorbei, Eiscreme lockt, bunte Lollis und Bonbonrollen versprechen sinnlichen Genuss. Nicht nur Kinderherzen schlagen hier höher, auch für Erwachsene ist gesorgt. Zwei mehrstöckige Hochzeitstorten feiern ihre süsse Präsenz, obenauf geschmückt mit Braut und Bräutigam als winzige Marzipanfiguren, verkörpern sie die Sehnsüchte, die sich mit diesem gesellschaftlichen Ereignis verbinden. Ein anderes Bild zeigt ein Ehepaar, mit zwei Hotdogs und Pappbechern in der Hand. Die emotionale Stimmung ist hier nüchtern, fast unterkühlt. Wird hier das Glücksversprechen als Traum entlarvt? Auch all die Leckereien wirken wie aus dem Tiefkühlfach. Hinter der Zuckerkruste verbirgt sich die Präsenz der Farbe und Thiebauds Faszination für Malerei. Strategische Gliederung und malerische Brillanz präsentieren das Medium. Alles wirkt gebaut und akribisch geordnet. Sandwiche werden zu Brotpyramiden und Tortenstücke sind dreieckig, liegen diagonal geordnet auf runden Tellern. Manchmal erscheinen die Bilder fast wie didaktische Paradestücke für Farbgebung und Komposition – arrangiert mit einem Augenzwinkern.

Thiebaud dosiert seine malerischen Zutaten gezielt. Feine irisierende Pinselstriche umspielen die Konturen, betonen Binnenlinien und heben die Figuren messerscharf von hellen monochromen Hintergründen ab. Der Künstler kombiniert auch verschiedene Realitätsebenen, malt den Kopf einer Badenden hyperrealistisch, während sich die Badewanne als abstraktes Bild in einem parallelen Streifenmuster verliert.

Viel freier und wilder entfalten sich seine Landschaften aus der Umgebung von Sacramento und Stadtbilder von San Francisco. Mit expressiver Farbgebung und multiperspektiven Bildbrüchen erkundet Thiebaud hier ein neues Raumgefühl, das möglicherweise aus der japanischen Kunst, sicher aber aus den bewegten Höhenkurven der Metropole inspiriert ist. In „City Views“ von 2004 herrschen Blau- und Pastelltöne vor, belebt von Linien und winzigen Flächen in leuchtend rotem Zinnober. Wasserfallartig rauschen Farbströme nach unten während Häuser wie Pilze nach oben schiessen. Zwischen Häuserschluchten klappen Autobahnen wie Zugbrücken steil nach oben, Hochhäuser und winzig Bäume balancieren schwindelerregend am Abgrund. Die Grossstadt wird hier als multifokales, rauschendes Raumerlebnis aus urbanen und emotionalen Versatzstücken spürbar.