Ohne Titel.
Junge Malerei aus Süddeutschland und der Deutschschweiz
Museum zu Allerheiligen,
Klosterstr. 16, Schaffhausen.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
4. Dezember 2022 bis 16. April 2023
Kunstmuseum Singen,
Ekkehardstr. 10, Singen.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag11.0 bis 17.00 Uhr.
4. Dezember 2022 bis 16. April 2023
Artline: Das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen und das Kunstmuseum Singen zeigen ab 4. Dezeber 2022 Malerei aus Süddeutschland und der Deutschschweiz. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Julian Denzler: Es gab zwei Grundideen: Zum einen wollten wir die geografische Nähe von Schaffhausen und Singen nutzen, um ein gemeinsames, grenzüberschreitendes Projekt zu realisieren. Zum anderen hatten wir den Eindruck, dass die Malerei nach einer langen Phase der Zurückhaltung plötzlich wieder sehr präsent ist in den Museen, Kunsthallen und Galerien. Christoph Bauer, Direktor des Kunstmuseums Singen, und ich haben das zum Ausgangspunkt für unsere Recherchen genommen und versucht, den aktuellen Stand der Malerei in der Kulturregion aus Süddeutschland und der Deutschschweiz zu erkunden.
Wo haben Sie recherchiert?
Wir haben Akademien und Hochschulen in der Region kontaktiert, waren in Kontakt mit Karlsruhe, München, Stuttgart, Nürnberg sowie Basel, Zürich, Bern und Luzern. Wir haben unsere Ausstellungslisten ausgewertet, mit Galerien gesprochen und mit Kolleginnen und Kollegen. Am Ende hatten wir eine Liste von über 200 interessanten malerischen Positionen zusammen, aus denen wir schließlich 57 ausgewählt haben.
Warum der Fokus auf die Deutschschweiz? Ist aktuelle Malerei in der Schweiz nicht eher im französischen Teil zuhause?
Ich weiß, es gibt diese These, dass die Deutschschweiz wenigstens in den letzten 70 Jahren einen schwierigen Stand hatte. An den Akademien mag das stückweise so sein. Aber bezogen auf das gesamte Feld der Gegenwartskunst sehe ich das nicht so. Im Gegenteil: In letzter Zeit gibt es auch hier extrem viele junge und sehr reizvolle malerische Positionen.
Christoph Bauer ist Jahrgang 1960, Sie selbst sind 30 Jahre jünger. Wie wirkt sich dieser Altersunterschied auf die Wahrnehmung von Malerei in der Gegenwart aus? War das ein Thema beim gemeinsamen Kuratieren?
Ja, bei der Auswahl hat das sicher eine Rolle gespielt. Alles andere wäre ungewöhnlich. Wir sind aufgrund unseres Alters auch was die Kunst betrifft unterschiedlich sozialisiert, folglich blicken wir anders auf die Dinge, interessieren uns für unterschiedliche Aspekte. Aber genau das hat den Austausch über die Potenziale der Malerei heute für uns beide sehr interessant gemacht.
Auf der Künstler:innenliste der Doppelausstellung finden sich so unterschiedliche Namen wie Christine Streuli und Jan Zöller. Zwischen beiden Positionen liegen Welten.
Definitiv. Und das ist ein zentrales Anliegen der Schau: Es geht uns darum, die ganze Bandbreite des aktuellen malerischen Schaffens in der Region zu zeigen. Unser Fokus liegt dabei auf jungen Positionen bis 40 Jahre. Zu sehen sind jedoch auch einige, etwas ältere Malerinnen und Maler von denen die Jüngeren heute spürbar beeinflusst sind. Die Linie verläuft hier zum Beispiel von Christine Streuli, die 2007 mit gerade mal 32 den Schweizer Pavillon der Venedig-Biennale bespielte und heute Professorin in Berlin ist, bis zu Dave Bopp, Jahrgang 1988, der von der selben Galerie vertreten wird wie Streuli und ihre Arbeit schon sehr lange schätzt. Unsere Ausstellungen sollen auch solche Bezüge sichtbar machen.
Beide Schauen firmieren unter dem Motto „Ohne Titel“. Dabei gehen doch gerade vielen junge Maler:innen sehr kreativ mit Titeln um und nutzen sie, um ihrer Malerei eine weitere Ebene zu eröffnen. Warum dieser Titel?
„Ohne Titel“ soll zeigen, dass unser Projekt keinem kuratorischen Leitsatz folgt, sondern auf Offenheit setzt und die ganze Bandbreite der malerischen Produktion der Gegenwart zeigt. Wir wollten vermeiden, dass der Titel von vorne herein thematisch einschränkt in ihrer Wahrnehmung – und spielen damit natürlich auch mit der nach wie vor weit verbreiteten Verwendung als Werktitel. Allein in der Auswahl in Schaffhausen greifen sechs Kunstschaffende auf die Betitelung „Ohne Titel“ zurück.
Wie schlagen sich die unterschiedlichen Ausbildungssysteme in Deutschland und der Schweiz auf die Malereiprogramme der Künstler:innen nieder?
Da ist eine schwierige Frage. Einerseits würde ich behaupten, dass man nicht erkennen kann, ob jemand in Deutschland oder in der Schweiz studiert hat. Andererseits gibt es dennoch einen spürbaren Unterschied. Bei der Recherche habe ich die Clusterbildung in Deutschland als sehr viel stärker empfunden als in der Schweiz. Die Orientierung an einer Professorin oder einem Professor, auch die jeweilige Ausrichtung einer Akademie in Fragen der Malerei sind in Deutschland nicht nur sehr viel klarer ausgeprägt als in der Schweiz, sondern hinterlassen auch erkennbar Spuren im Werk der jüngeren Kunstschaffenden. Nehmen wir als Beispiel Karlsruhe. An der dortigen Akademie gibt es eine klare Tendenz zu einem ungegenständlichen erweiterten Malereibegriff, der als solcher identifizierbar ist. Und natürlich finden sich in unserer Ausstellung auch einige Positionen mit dieser unverkennbaren Handschrift wieder.
Auf dem Flyer zu den beiden Ausstellungen stellen Sie eine Reihe von Fragen, die am Anfang Ihrer Recherche standen. Etwa: Welche neuen Einflüsse sind in der aktuellen Malerei auszumachen? Was würden Sie heute antworten?
Zu einen ist das sicher der spürbare Einfluss der digitalen Medien. Marius Steiger etwa malt Porträts von Dingen, die sichtbar digitalen Ursprungs sind. Er bildet also keine materiellen Gegenstände ab, sondern Objekte, welche es in der Vorlage nur als Pixelpunkte gibt. Oder Elza Sile – sie malt Computerplatinen und andere Elemente aus der digitalisierten Technikwelt. Zum anderen beobachteten wir den Hang zu einer neuen Form von narrativer, figurativer Malerei mit surrealen Zügen, nicht selten etwas düster. Bemerkenswert an dieser Malerei ist, dass sich alle kunsthistorischen Referenzen, die man darin zunächst zu erkennen glaubt, bei näherem Hinsehen auflösen. Zum Beispiel in den Bildern von Andriu Deplazes. Da tauchen immer wieder Wolken von Holder auf oder Stimmungen, die mir aus Bildern von Cuno Amiet bekannt vorkommen. Und doch ist alles, was er malt absolut gegenwärtig, all seine Figuren sind in aktuelle Diskurse verstrickt, etwa über Geschlechterfluidität oder die Verortung des Menschen in der Natur.
Und wie steht es mit der Abstraktion?
Tatsächlich gibt es auch hier eine spürbare Lust auf Erneuerung, die häufig verbunden ist mit einer Hinwendung an das Material. Schöne Belege dafür sind zum Beispiel die Hinterglasmalereien von Daniel Karrer. Eine sehr alte Technik, mit der man sehr intensiv am Material ist. Diese Lust auf die physische Erfahrung im Arbeitsprozess ist auch bei anderen Beteiligten unserer Ausstellung stark spürbar, etwa bei LINO oder in Marie Do Linhs materialintensiven Arbeiten.
Woher kommt diese Lust?
Natürlich ist das jetzt spekulativ, aber ich sehe in dieser Freude an der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Material in der aktuellen Malerei eine mögliche Reaktion auf die Digitalisierung unseres Alltags. Eine erste Reaktion war sicher die plötzliche Präsenz der Performance als Angebot einer realen Raum- und Körpererfahrung. Mit der Malerei rückt nun das Bild als objekthaftes Resultat eines physischen Arbeitsprozesses mit konkretem Material zurück in den Fokus.