Etel Adnan.
Lenbachhaus Kunstbau, U-Bahnhof Königsplatz, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 26. Februar 2023.
www.lenbachhaus.de
Sie liebte das Fließen, das vermeintliche Fehlen von Begrenzungen. Und sie hat diese Offenheit und vielleicht sogar Unendlichkeit nicht nur im Leben, sondern auch in der Literatur, Philosophie und Bildenden Kunst gesucht. Dass sie keine Grenzen mochte, das hatte viel mit der Biografie von Etel Adnan zu tun, der das Münchner Lenbachhaus im Kunstbau derzeit die erste umfassende Retrospektive in Deutschland widmet. Geboren wurde die 2021 verstorbene Schriftstellerin, Philosophin und erst durch die Documenta 13 als bildende Künstlerin weltweit wahrgenommene Adnan 1925 in Beirut. Als Tochter eines syrischen Vaters und einer griechischen Mutter. Danach wuchs sie mehrsprachig im Libanon auf. Mit späteren Lebensstationen in Paris und Kalifornien, Reisen nach Mexiko oder Nordafrika wurde Adnan zur Weltbürgerin. Ihr Denken und Wirken blieb aber trotzdem vom arabischen Raum geprägt. Und wie sich das in Kombination mit westlichen Einflüssen zu einem ganz eigenen Oeuvre entspann, das ist in München faszinierend zu erleben.
Im Zentrum stehen dabei die Sonne, die Berge und das Meer – Motive, die sie immer wieder zeichnete und malte. Auch in ihrem ersten Gedicht ging es um Sonne und Meer. Und zum Mount Tamalpais in Marin County, Kalifornien, hatte Adnan eine geradezu „mystische“ Beziehung, sie stellte ihn auf vielen Bildern dar. Das erinnert an Paul Cézanne und seine Montagne Sainte-Victoire. Auch Adnan überführte die Natur in abstrakte, elementare Formen, die sie in meist kleinen Bildformaten immer neu variierte und sortierte. In den sehr kräftigen, leuchtenden Farben scheint das Licht des Südens, die Sonne des Libanons durch. So als hätten die Gemälde diese regelrecht aufgesaugt. Aufgetragen hat sie die Künstlerin mit dem Messer oder mit demSpachtel. Nach ihrer Reise 1966 nach Nordafrika hat sie das Ganze auch in Tapisserien überführt.
Ihr 1960 vollzogener Schritt zur Malerei hatte mit dem Besuch der Pariser Museen Anfang der 1950er, aber auch mit dem Unabhängigkeitskrieg Algeriens zu tun. Das Französische, Adnans bevorzugte Dichterinnensprache, war für sie nun die Sprache einer Kolonialmacht. Als welche Befreiung sie damals die Malerei empfand, kommt im folgenden Satz zum Ausdruck: „Ich musste nicht mehr auf Französisch schreiben, ich malte einfach auf Arabisch.“ Mit der Praxis der Kalligrafie fand sie ebenfalls zu einer wichtigen arabischen, islamischen Ausdrucksform zurück. Das aber mit einem Umweg über Japan. Das Ergebnis: Ihre Leporellos, 1961 fing sie damit an. Sich ziehharmonikaartig auffächernde Bildpanoramen entstanden, auf denen sie Poesie und Malerei, Schreiben und Zeichnen verband. Die Motive dafür fand sie nicht nur in der Natur, sondern auch in Paris und New York. So zeigt etwa ein sehr schönes, mit Kohle auf Japan-Papier gezeichnetes Leporello von 1977 den „Blick aus Jims Fenster“ auf die Dächer aus Paris. Und das wie eine visuelle Partitur wirkende Leporello „East River Pollution“ von 1979 scheint wie mit der pulsierenden Energie der Großstadt New York aufgeladen.
Mit der bereits erwähnten Tapisserie greift Etel Adnan wiederum eine sehr aufwändige Kunstform auf, die sie in Ägypten und in Form spätgotischer Wandbehänge kennengelernt hatte. Auch hier führt sie verschiedenste Einflüsse, Techniken, Stile und Kulturkreise zusammen, was ihr Werk zum einen äußerst anschlussfähig und zum anderen höchst originell macht. Sucht man nach Verwandtschaften in der europäischen, der deutschen Malerei, so ist diese in den Werken von Paul Klee, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter zu finden. Im Lenbachhaus, dem Haus des Blauen Reiter, ist man damit natürlich am perfekten Ort. Und so sind in der Ausstellung auch ausgesuchte Vergleichswerke zu sehen. Übrigens: Das Museum Fünf Kontinente in München zeigt noch bis zum 4. Dezember elf Skulpturen von Simone Fattal. Die syrischstämmige Künstlerin war früher auch Verlegerin und gab viele von Adnans Schriften heraus. Und sie war bis zuletzt ihre Lebensgefährtin.