Alter + Ego: Die Natur unterstützen

Alex Van Gelder, Louise Bourgeois at home in 2009, 2009, © Alex Van Gelder, Foto: Thomas Dashuber
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7. September 2022
Text: Roberta De Righi

Alter + Ego.
ERES Stiftung, Römerstr. 15, München.
Donnerstag 14.00 bis 18.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 29. Oktober 2022.
www.eres-stiftung.de

Albrecht Ludwig Berblinger, Konstruktionszeichnungen einer Prothese, 1809, Courtesy Stadtarchiv Ulm / Mona Ardeleanu, Schnürungen, 2021/I und II, 2021, Courtesy the artist & Galerie Thomas Fuchs, Stuttgart, Foto: Thomas Dashuber
Thomas Silberhorn, Flow 2, 2015, © Thomas Silberhorn, Foto: Thomas Dashuber
Elisa Giardina Papa, Labor of Sleep, Have you been able to change your habits??, 2017, Videostill, © Elisa Giardina Papa, Foto: Thomas Dashuber

Kunstproduktion scheint jung zu halten: Die Performance-Königin Marina Abramovic´ (*1946) etwa sieht in ihrem Coaching-Video von 2021 wesentlich jünger aus, als sie ist. Und auch Louise Bourgeois (1911-2010) arbeitete bis ins hohe Alter täglich im Atelier. Auf einem Porträtfoto von Alex Van Gelder von 2009 schaut die 97-Jährige mit herausforderndem Schalk in die Kamera. Der niederländische Fotograf schuf eine ganze Serie mit der legendären New Yorker Bildhauerin. Ihr Bildnis ist jetzt Auftakt zur Ausstellung „Alter + Ego“, die sich in der Münchner ERES-Stiftung mit Strategien der Selbstoptimierung und der Überwindung von Alter und Tod auseinandersetzt. Die Schau basiert inhaltlich auf den Erkenntnissen aktueller Forschung – der Körper ist seit Corona wieder verstärkt Sujet – und (bio-)technologischen Möglichkeiten, um den Menschen bis zu Unkenntlichkeit zu optimieren. Auch auf der diesjährigen Venedig-Biennale nimmt das Leibliche viel Raum ein.

Den Fitness- und Superfood-Trend nimmt Stefan Panhans (*1967) in seiner Installation „UP! UP! UP!“ aufs Korn: Klettergriffe, deren Buntheit von der Beimischung von Chia, Kurkuma und Matcha stammt. Nebenan lässt Thomas Silberhorn (*1982) einen Treppenlift ohne Treppe monströs Amok laufen. „Flow 2“ heißt die Arbeit nach dem Namen des Fabrikats, und es ist ziemlich eindrucksvoll, wie sich der Lift auf der nirgendwo fixierten Schiene dröhnend und brutal durch den Raum wuchtet. Unkontrolliert wird das maschinelle Hilfsmittel zur Bedrohung. Doch zunächst ist der Körper das unzulängliche Material, auf das wir angewiesen sind. Faszinierend sind Mona Ardeleanus (*1984) seltsame „Schnürungen“. Ihre Ölgemälde zeigen surreale Objekte, deren Konturen der Form von Herz, Lunge und Bauch nachempfunden sind. Die Oberflächen sind entweder weiß-blau gemustert wie chinesisches Porzellan oder bunt geblümt wie ein altmeis­terliches Stillleben – Organe als Artefakte für die Wunderkammer.

Beklemmend ist Berenice Olmedos (*1987) Kinder-Beinorthese mit Ballett-Schühchen, Modell „Regina“. Die Apparatur zur Unterstützung des Bewegungsapparats wird hier bildlich auf die Spitze getrieben. Und die Grenzen menschlicher Beschränktheit werden auch mithilfe der Bionik überwunden: Etwa mit dem „Fastskin“-Schwimmanzug, der durch die der Haifischhaut nachempfundene Oberfläche so erfolgreich war, dass er bei Olympia schnell wieder verboten wurde. Sibylle Fendt (* 1974) arbeitet dokumentarisch: Sie begleitete für ihr Foto-Projekt „Gärtners Reise“ ein Ehepaar auf seinem letzten Trip durch Europa, nachdem bei der Frau Demenz diagnostiziert wurde. Fendt fand eindringliche, nie voyeuristische Bilder von Liebe und Abschied. Und in Ulrich Blums Film „This is not the person I see in the mirror“ kann man bei Schönheits-OPs zuschauen. Obwohl die Drastik der Bilder in Schwarzweiß abgemildert wird, ist es ein operatives Gemetzel – auch eine Art Memento mori.

Ob Dorian Gray oder der Brandner Kaspar, der Versuch, das Sterben hinauszuzögern, bietet für alle Künste Stoff. Heute braucht es dafür keinen Pakt mit dem Teufel, sondern viel Geld und einen Vertrag mit dem Cryonics Institute in Michigan, um sich in Flüssig-Stickstoff einfrieren zu lassen. Die US-Fotografin Taryn Simon (*1975) hat für ihre Serie über unbekannte Orte in den USA auch dort fotografiert. Die Verschiebung des Todes mag für den Einzelnen erstrebenswert scheinen, für das Öko-System Erde würde es noch schneller den Kollaps bedeuten. Darum dachte etwa Stephen Hawking weiter: Es gelte, das Überleben der Menschheit im All zu sichern. bzw. derer, die es sich leisten können. Wenn in hundert Jahren der aufgetaute Elon Musk und ein Jeff-Bezos-Cyborg zum Sound der ABBA-Avatare – ebenfalls in „Alter + Ego zu sehen – auf einem Exoplaneten ihren Algen-Cocktail schlürfen, möchte man aber ohnehin nicht dabei sein.