David Hockney, Moving Focus: Mit Polaroidkamera und Tablet zwischen Pool und Cottage

David Hockney, Bigger Trees near Warter or / ou Peinture sur le Motif pour le Nouvel Age Post-Photographique, 2007, Tate, London, Schenkung des Künstlers 2008, © David Hockney
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8. September 2022
Text: Dietrich Roeschmann

David Hockney: Moving Focus.
Kunstmuseum Luzern, Europaplatz 1, Luzern.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 30. Oktober 2022.
www.kunstmuseumluzern.ch

David Hockney, Interior with Blue Terrace and Garden, 2017, Foto: Richard Schmidt, © David Hockney
David Hockney, Man in Shower in Beverly Hills, 1964, Tate, London, erworben 1980, © David Hockney

Vom Foyer im Kunstmuseum Luzern aus bietet sich ein grandioser Blick über den Vierwaldstättersee. David Hockney hat dieses Panorama nie gesehen. Aber es würde ihm gefallen: Diese Weite, diese Kleinteiligkeit. Das Wasser und die hügeligen Matten, die kräftigen Farben. Anfang Juli ist der britische Maler 85 geworden. Pünktlich zum runden Geburtstag eröffnete im Kunstmuseum Luzern nun seine erste große Retrospektive in der Schweiz. Unter den 120 ausgestellten Werken sind auch zwei Landschaften zu sehen, die den Blick aus dem Foyer in jeder Hinsicht in den Schatten stellen. Allein schon die Größe von „The Arrival of Spring in Woldgate, East Yorkshire in 2011“ bringt die Sinne ins Taumeln. Auf gut neun Metern Länge knospen hier frische Blätter in einem Waldstück vor leuchtender Parklandschaft. Am Boden flimmern giftgrüne Pflanzensilhouetten, dicht an dicht. „Bigger Trees Near Warter“, eine monumentale, mit Hilfe des Computers komponierte Vorfrühlingslandschaft in Yorkshire mit Baumgruppe, die mal wie ein Vogelschwarm, mal wie ein Korallenstock vor graublauem Himmel wogt, ist gar aus 50 Leinwänden zusammengesetzt. „Sie müssen nur hinsehen – die Welt, in der wir leben, ist atemberaubend schön“, hat David Hockney einmal gesagt. Das Zitat prangt gleich im ersten Raum an der Wand. In Zeiten von Krieg und Klimakrise klingt das vielleicht ein wenig realitätsvergessen. Doch am Ende dieser Ausstellung wird man kaum umhinkommen, ihm Recht zu geben und zu bemerken, dass zu dieser Welt maßgeblich auch Hockneys Malerei gehört.

Die hat ihre Wurzeln in den späten 1950er Jahren und begleitete sein Coming Out als junger Schwuler, lange vor der Entkriminalisierung der Homosexualität in England. In Luzern ist aus dieser frühen Zeit eines seiner „Love Paintings“ zu sehen, das wie das Porträt einer Wand in einer öffentlichen Toilette wirkt, mit wilden codierten Kritzeleien. Wenig später entstand der Radierungszyklus „A Rake’s Progress“, in dem Hockney nach Vorlage von William Hogarths Kupferstichserie von 1735 die eigene bewegte Geschichte seines Umzugs von London nach New York erzählte. 1963 strömte dann erstmals Wasser in seine Bilder, zunächst aus Duschköpfen auf Männerkörper, zwischen Kachelwand und Badezimmerpalme, kurz darauf in blaue Pools vor stilisierten kalifornischen Landschaften, mit denen er berühmt wurde. Die Luzerner Schau deutet diese Werkphase nur an, aber die wenigen Arbeiten reichen aus, um die Erinnerung an Hockneys ikonische Bildwelten aus L.A. wachzurufen, die die kollektive Wahrnehmung der Stadt prägten. Es ist ein bisschen wie mit seinem berühmten, nach einem Polaroidfoto entstandenen Gemälde „A Bigger Splash“, das lediglich die Spritzer zeigt, die der Körper der eingetauchten Person beim Sprung ins Wasser erzeugte.

Auch in anderen Serien lenkte Hockney seinen Blick immer wieder auf das Abwesende und auf Momente in der Schwebe. Schön zu sehen ist das in dem Saal, in dem gleich drei seiner Doppelporträts aus den 1970er Jahren hängen. Zunächst könnte man den Eindruck haben, einen Wartesaal zu betreten, umringt von den still gestellten Körpern der Paare, die gleichermaßen isoliert und aufgehoben wirken in ihren jeweiligen Beziehungen, denen Hockneys Interesse galt. Es liegt eine zarte Intimität in diesen Bildern, allen voran im Porträt seiner Eltern von 1977. Seine Mutter wurde später eines seiner Lieblingsmodelle, als er sich nach dem Tod seines Vaters und inspiriert von Matisse und Picasso von den Gesetzen der Perspektive verabschiedete und seine Bilder stattdessen aus verschiedenen Blickwinkeln konstruierte. Für Fanny Fetzer und Helen Little, die die Luzerner Schau in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate kuratierten, beschreibt der Titel „Moving Focus“ so nicht nur eine Technik, sondern eine grundsätzliche Haltung David Hockneys. Die Multiperspektive, sagte er selbst, entspreche mehr als alles andere unserer Wahrnehmung, weil sie immer von verschiedenen Blickwinkeln, Gefühlen und Erfahrungen – vor allem der der Zeitlichkeit –  geprägt sei. Es ist diese Haltung, flankiert von einer unbändigen Experimentierfreude und Neugier auf die je aktuellsten Medien von der Polaroidkamera bis zum iPad, die Hockneys Malerei bis heute so unvergleichlich gegenwärtig macht.