Jose Dávila: Memory of a Telluric Movement.
Museum Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 11. September 2022.
www.hauskonstruktiv.ch
Es ist keine schöne Vorstellung, beim Versuch, Jose Dávilas ausladende Installation „Will has moved mountains“ im Zürcher Museum Haus Konstruktiv irgendwie ins Smartphone-Display zu bekommen, über eine dieser niedrigen Kanten des Podestes in die Arbeit zu stolpern, deren einzelne Teile sich hier in einem äußerst prekären Gleichgewicht halten. Der Lärm wäre vermutlich enorm, zwischen dem Klirren der vier Spiegel das Sirren der Spanngurte, wie sie plötzlich vom Zug befreit durch die Luft peitschen; dazu das Scheppern einer rostigen Tonne, losgelöst durch den Raum trudelnd, auf Kollisionskurs mit dem Betonwürfel, dem kurzen Stahlträger oder dem Paket aus Holzbohlen, welche Dávila hier akkurat platziert hat, bis sie irgendwo mit einem metallischen Seufzen in der Ecke zum Liegen käme. Der Titel dieser sorgfältig austarierten Arbeit spielt auf einen Vers aus dem Neuen Testament an. Der Glaube könne Berge versetzen, heißt es dort in den Korintherbriefen. Dávila weiß, dass das auch andere Kräfte sehr wirksam leisten. Der Künstler ist 1974 in Guadaljara geboren, in der Provinz Jalisco, einer der aktivsten Erdbebenregionen Mexikos. In den späten Neunzigern gehörte er hier zu der jungen Bildhauerszene, die sich um die Expo Arte gebildet hatte, die erste Kunstmesse in der Region mit internationaler Ausstrahlung. Später war er Mitbegründer des Offspace „Oficina para Proyectos de Arte“, in dem auch viele Kunstschaffende aus Europa ausstellten, von Pipilotti Rist bis Anri Sala.
In seiner Soloschau im Musem Haus Konstruktiv zeigt Dávila nun Arbeiten aus den letzten drei Jahren. Sie erkunden das Verhältnis von Masse und Raum, Natur und Kultur, Balance und Zusammenbruch. Die Schwerkraft ist in ihnen deutlich präsent, die Spannung, unter der sie stehen, geradezu physisch spürbar. Doch trotz ihrer oft monumentalen Dimensionen haben sie etwas überraschend Zartes. Schön zu sehen ist das gleich zu Beginn der Ausstellung in der großen Halle, wo Dávila 21 massive Gesteinsbrocken aus der Region verteilt hat, vom rosafarbenen Quarzporphyr bis zum grün schimmernden Gneis. Jede dieser tonnenschweren Naturschönheiten ist durch ein dünnes Stahlseil, das über einen Haken an der Decke verläuft, mit einem vertikal im Raum stehenden Stahlträger verbunden, dessen Höhe das Gewicht des Gesteins repräsentiert. Die ungleichen Paare stabilisieren sich gegenseitig durch ihr jeweils identisches Gewicht. Das Zusammenspiel der Kräfte, die hier auf Gestein, Haken und Stahlträger wirken, interpretiert Dávilo im Titel seiner Installation als „The act of being together“, was sich auch als Metapaher für die Selbstorganisationskräfte von Gemeinschaft verstehen ließe. Jedes einzelne Glied ist notwendig, damit das System als Ganzes nicht kollabiert. Das ist der zentrale Gedanke, um den Dávilas Kunst kreist.
Im Obergeschoss arrangiert Jose Dávila eine Vielzahl seiner Equilibres zu einer raumgreifenden Skulpturenlandschaft, in der ein unvorhersehbarer Impuls immer mitgedacht scheint, der hier alles in Bewegung versetzen könnte. Da droht ein hochkant an der Wand verspannter Stapel Ölfässer in jedem Moment in den Raum zu stürzen, ein wackliger Turm aus Betonelementen, Ziegelsteinen und Fahrradfelge mimt Marcel Duchamps Readymade „Roue de Biyclettes“, und während drei Gestelle des Acapulco Chair nebenan in einer luftigen Hommage an die Design-Ikone des mexikanischen Midcentury Styles übereinander balancieren, geben sich in „fundamental concern“ ein Betonblock, ein Felsbrocken, ein Rundstein und eine Glaskugel gegenseitig Halt wie die Kiesel eines tibetischen Steinhaufens – hier aber sichtbar fixiert per Spanngurt. Das Interesse an Fragen der Ausgewogenheit in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, vor allem in der Minimal Art und der konkret-konstruktiven Kunst, prägt übrigens auch Dávilas Malerei. Nimmt so das fünfteilige Wandbild „Memory of a Telluric Movement“, das der Schau den Titel gibt, die imaginierte Bewegung der fallenden Teile von „Will has moved mountains“ in einer reduzierten Farbfeldfolge auf, wirken die geometrischen Kreiskompositionen der Serie „The fact of constantly returning to the same point or situation“ wie eine an Sonia Delaunay oder Frank Stella geschulte Studie über die Zirkularität aller Lebensprozesse.