Yalda Afah, Every Word was once an Animal: Gezähmte Wildnis

Yalda Afsah, TOURNEUR, 2018, Courtesy the artist
Review > München > Kunstverein München
9. März 2022
Text: Roberta De Righi

Yalda Afsah: Every Word was once an Animal.
Kunstverein München, Galeriestr. 4, München.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18 Uhr.
Bis 3. April 2022.
www.kunstverein-muenchen.de

Anlässlich der Ausstellung wird eine Publikation erscheinen: Distanz Verlag, Berlin 2022, ca. 100 S., ca. 38 Euro | ca. 45 Franken.

Yalda Afsah, CENTAUR, 2020, Courtesy the artist
Yalda Afsah, VIDOURLE, 2019, Courtesy the artist
Yalda Afsah, CENTAUR, 2020 , Courtesy the artist

Lässt sich eine größere Entfremdung von der Natur denken als, wenn Großstädter sich in einem Ausstellungsraum gezähmte Tiere auf der Leinwand anschauen? Doch mitunter gerät man da in packendes Kunst-Kino; derzeit zeigt der Kunstverein München Film-Projektionen von Yalda Afsah (*1983). Unter dem Titel „Every Word Was Once An Animal“ stellt die Berliner Künstlerin dort derzeit vier aktuelle Video-Arbeiten aus. Yalda Afsah studierte an der Burg Giebichenstein in Halle, der Berliner Universität der Künste und dem California Institute of the Arts. Zusammen mit Ginan Seidl drehte sie unter anderem 2015 die Dokumentation „Boy“ über zwei Mädchen in Afghanistan, die sich beide aus unterschiedlichen Gründen als Jungen kleideten.

Ihre Präsentation im Kunstverein setzt sich mit der Beziehung von Mensch und Tier, beziehungsweise von Mann und Tier auseinander. Denn alle hier gezeigten Versuche der Domestizierung und Konditionierung wie Stierkampf, Taubenzucht und Pferdedressur werden von Männern betrieben. Nur im Publikum finden sich vereinzelt Frauen und Mädchen.

In „Centaur“ beobachtet Afsah Dresseur und Pferd in einer Reithalle. Mit einer erstaunlichen Innigkeit in der Interaktion, aber auch eindeutig definierter Dominanz lässt der Mann sein Pferd rückwärts tänzeln und sich geziert aufbäumen. Die gekünstelte Bewegung steht dabei im Gegensatz zur imposanten Statur des Rosses. Für einen Augenblick wirken dabei das glänzend gestriegelte Fell des Pferdes und der sorgfältig gezwirbelte Schnurrbart des Ross-Bändigers wie aus einem Guss. Ab und zu zoomt die Kamera auf eines der Gemälde an der Wand im Hintergrund: Reiter-Bildnisse mit Männern in Heldenpose im Sattel. Im Fokus von Afsahs Interesse liegt das ambivalente Verhältnis zwischen Tier und Mensch. Sie hält Momente fest, in denen die Konturen der biologischen Ordnungen verwischen. In der Systematik sind immerhin beide, Mensch und Pferd, höhere Säugetiere. Darauf verweist auch der Titel „Centaur“, der ein Mensch-Pferd-Mischwesen benennt.

Vom Himmel purzelnde Tauben wiederum sind das Sujet ihres jüngsten Filmes „SSRC“, für den sie die „Roller Pigeons Compton“ am Rande von Los Angeles aufsuchte. Die Männer, die sich dieser etwas anderen Vogelzucht verschrieben haben, trainieren ihre Tauben, Rückwärtsüberschläge im freien Flug zu machen. Eine betreuungsintensive Freizeitbeschäftigung, die viel Pflege und eine hohe Sensibilität im Umgang mit den Vögeln erfordert. Und die auch eine soziale Funktion hat: Gegründet wurden die „Roller Pigeons“ innerhalb der schwarzen Community; die Gemeinschaft der Taubenzüchter ist eine Art gegenkultureller Frei- und Schutzraum.

Was die suggestive Wirkung der Bilder in allen Projektionen verstärkt, ist der verfremdete Sound: Sie sind – abgesehen von den wenigen Erläuterungen der Protagonisten in „SSRC“ – mit einem abstrakten Wummern und Rauschen unterlegt, das mitunter ohrenbetäubend wird. In den Kurzfilmen „Tourneur“ und „Vidourle“ schließlich dokumentiert die deutsche Künstlerin mit iranischen Wurzeln eine hierzulande weniger bekannte Form des Stierkampfes in Südfrankreich, bei dem die überwiegend jugendlichen Zuschauer zu Akteuren werden. In einem seichten Fluss und in einer improvisierten Arena stehen junge Männer an der Schwelle zum Erwachsensein und verharren eine gefühlte Ewigkeit in Schlamm und Wasser. Ihre schlaksigen Bewegungen entstehen in einer vom Stier diktierten Choreographie zwischen Abwarten und Fliehen, Langeweile und Gefahr. Der Wechsel zwischen ihrem zur Schau getragenen Wagemut und dem instinktivem Fluchtreflex wirkt ebenso einfältig wie komisch. Yalda Afsah zeigt: Der Mensch ist eben doch die seltsamste Spezies.