Elsa & Johanna, The Plurality of Identity: Zwischen Übermut und melancholischer Verlorenheit

Elsa & Johanna, Playground, aus: Beyond the Shadows, 2018, © Elsa & Johanna, Courtesy Galerie La Forest Divonne
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15. März 2022
Text: Dietrich Roeschmann

Elsa & Johanna: The Plurality of Identity.
Städtische Galerie Karlsruhe, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 24. April 2022.
www.staedtische-galerie.de

Elsa & Johanna, Legs and Drinks, aus: The Timeless Story of Moormerland, © Elsa & Johanna, Courtesy Galerie La Forest Divonne
Elsa & Johanna, aus: A Couple of Them, 2014-2016, © Elsa & Johanna, Courtesy Galerie La Forest Divonne
Elsa & Johanna, Playground, aus: Beyond the Shadows, 2018, © Elsa & Johanna, Courtesy Galerie La Forest Divonne

Vermutlich hängen die beiden schon eine ganze Weile am Hafen herum. Die eine sitzt auf dem Boden, in knallrotem Hoodie, Zigarette im Mund, die Augen am Handy. Ihr Rücken lehnt an einem Betonpoller, auf dem die andere balanciert, in zerrissenen Shorts und Springerstiefeln, den Blick in die Ferne gerichtet, irgendwo zwischen Übermut und Langeweile. Die beiden tun, was Teenager tun, wenn sie vom Schulweg abgekommen sind. Gemeinsam Zeit tot schlagen. Nähe teilen. Vertraut wie in der Familie, nur besser – eben ohne Famile und den ganzen Stress, in dem immer alle gefangen sind.

Es ist nur eine kurze Szene aus „A Couple of Them“ von Elsa Parra (*1991) und Johanna Benaïnous (*1990). Aber sie erzählt viel über das Interesse des französischen Künstlerinnenduos, das sich in New York an der School of Visual Arts kennenlernte und seit 2014 unter dem Namen Elsa & Johanna zusammenarbeitet. Nicht zufällig trägt ihre umfassende Werkschau in der Städtischen Galerie Karlsruhe den Titel „The Plurality of Identity“. In fiktiven Selbstporträts machen sie sich auf die Suche nach Fragen des Andersseins, nach Codierungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, den Konstruktionsweisen des Ichs. „A Couple of Them“ besteht aus 100 Foto- und 23 Videoporträts und zeigt Jugendliche oder junge Erwachsene in unterschiedlichsten Settings – auf dem Skateplatz, vor dem Supermarkt, in Abbruchhäusern oder auf dem Basketball-Court, mal alleine, mal als Freundinnen- oder Geschwisterpaar, oft neugierig im Erproben von Geschlechteridentitäten – und immer sind es Elsa & Johanna selbst, die in diese Charaktere schlüpfen. Sie tun das mit einer Hingabe ans Detail und einer emotionalen Präzision, die an das „Method Acting“ erinnert, jene Schule des Schauspiels, als dessen zentrale Ressource Begründer Lee Strasberg in den 1930er Jahren die „Fähigkeit, auf imaginäre Stimuli zur reagieren“ definierte.

Elsa & Johanna kennen ihre Charaktere so genau, dass sie sich darin verlieren können, ob als Teenager in New York, als junges Paar in der kanadischen Provinz („Beyond the Shadows“), als Models beim Shooting auf Lanzarote („Los Ojos Vendados“) oder als Bewohnerinnen eines ostfriesischen Dorfes zu Beginn der Siebziger („The Timeless Story of Moormerland“). Inszenierung und gelebte Erfahrung scheinen ineinander zu verschwimmen. Und obwohl hier nichts dem Zufall überlassen ist und die Konstruiertheit jedes Tableaus ins Auge springt – verstärkt durch die unwirklich leuchtenden Farben des Indian Summers, der Kunstledersitze im Burger-Restaurant, der Kacheln im Swimmingpool –, wirken ihre Figuren dennoch authentisch in ihrer melancholischen Verlorenheit oder in der müden Verzweiflung, mit der sie sich durch ihre Lebenswirklichkeit kämpfen. Der Eindruck, sie  irgendwoher zu kennen, verdankt sich jedoch nicht allein der genauen Beobachtung, sondern ist auch Resultat einer Überschneidung fotografiehistorischer Fährten, die Elsa & Johanna in ihren BIldern auslegen. Mal knüpfen sie an Selbstinszenierungen von Cindy Sherman oder Francesca Woodman an, dann wieder tauchen sie ihre Settings in dystopisches Licht im Stil von Alptraumregisseuren wie Gregory Crewdson und David Lynch oder heften ihren Blick auf das perfekte Amerika der Vorstädte an die Spuren seines Verfalls, wie Joel Sternfeld es in den „American Prospects“ tat. Und während ihre schier unbändige Lust an Farbe immer wieder das intensive Leuchten der Dinge in den Alltagsszenen Helen Levitts oder William Egglestons in Erinnerung ruft, schaut aus den Augen einiger Charaktere eine Hoffnungslosigkeit, wie Dorothea Lange sie Ende der 1930er Jahre in den Porträts verarmter Farmerfamillien festhielt. Die Personen, die Elsa & Johanna in ihren Serien verkörpern, existieren so allein in der Erinnerung, und zwar auf doppelte Weise – zu einen in der Erinnerung an übersteigerte, oft extrem atmosphärische Inszenierungen des Selbst in der Fotografiegeschichte, zum anderen an die unermüdliche und kreative Arbeit, die es bedeutet, das eigene Bild mit der Außenwahrnehmung zur Deckung zu bringen.