Angebot und Nachfrage: SYNC

Kim-Manuel Walz, PROTOTYP PEER, 2021, Videostill, Sound Design: Manuel Vogel
Review > Freiburg > Kunsthaus L6
10. September 2021
Text: Dietrich Roeschmann

SYNC

Kunsthaus L6,
Lameystr. 6, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 16.00 bis 19.0 Uhr, Samstag 11.00 bis 17.00 Uhr.
9. bis 26. September 2021
Kunsthaus L6

Wenn man die lautstark pulsierenden Soundwellen, die derzeit durch das Freiburg Kunsthaus L6 schwappen, als Metapher für die machtvollen Bewegungen nimmt, denen wir im digitalen Kapitalismus ausgesetzt sind, dann ahnen wir: So muss die Hölle klingen. Kein Wunder, dass Kim Walz versucht, ihr zu entfliehen. Doch der in Berlin lebende Performancekünstler kommt nicht voran. Das Laufband unter seinen Füßen gleitet unermüdlich vor sich hin. Stehen bleiben hieße, den Anschluss zu verlieren, aus der Gegenwart zu fallen.

Vor diesem Hintergrund ist es eine schöne Ironie – und ein lustiger Anachronismus –, dass die Gruppenschau „SYNC“, in der Walz’ Videoarbeit „Prototyp Peer“ zu sehen ist, für ganze fünf Wochen pausierte, bevor sie am kommenden Donnerstag wieder startet. Die Ausstellung erkundet, welchen Einfluss Arbeitsprozesse in Zeiten von Selbstoptimierung, Flexibilisierung und Multitasking auf unsere Identität haben. Allein deshalb muss man eine derart markante Pause mitten im Betriebsablauf als Zeichen von Widerständigkeit werten.

Umso mehr lohnt der Besuch, wenn das Laufband im Kunsthaus L6 jetzt wieder anspringt. Im Endlos-Loop läuft, strauchelt und stolpert Walz hier durch eine Welt der digitalen Bilder, in der den Menschen in spektakulären Glitch-Effekten die physische Integrität und damit auch ihre Persönlichkeit entgleitet. Als Resultate von Rechenfehlern bei der Verarbeitung von Bildinformationen geben Glitches Einblick in die Konstruiertheit und Fragilität dessen, was wir als identisch wahrnehmen. In Walz Videoarbeit zerfließen die Gesichter, die ihn umgeben, in endlos vervielfältigten Zügen und machen die Auflösung alles Authentischen durch Wiederholung greifbar. Dass darin auch ein Moment von Freiheit stecken könnte, lässt Walz explizit offen.

Zeitgleich laufen im abgedunkelten Kunstraum auf mehreren wandfüllenden Screens zwei weitere Videoarbeiten, deren Tonspuren sich überlagern und so für eine nervöse Atmosphäre sorgen. Das ist durchaus beabsichtigt und ebenso Teil des Ausstellungskonzepts von „SYNC“, wie das grafische Erscheinungsbild, das daher kommt wie das Corporate Design eines Start Ups, das sein Geld mit der Synchronisation unterschiedlichster Erfahrungswelten macht.

Exemplarisch könnte dafür die multiperspektivische Videoarbeit „What’s my Line?“ von Sugano Matsusaki und Pegah Keshmirshekan stehen. Wieder und wieder begegnen sich hier im Setting einer Teeküche Putzkraft, Praktikantin und Chefin und verhandeln in immer neuen Improvisationen ein und derselben Szene Fragen von Macht, Eigensinn, Aufbegehren und Würde innerhalb der vermeintlich flachen Hierarchien der gegenwärtigen Arbeitswelt. Die ständige Wiederholung aus verschiedenen Kamerawinkeln und das Misstrauen, das die Dialoge begleitet, erzeugt ein sehr reales Unbehagen. Sie erzähle gerne Geschichten, an die sich die Betrachtenden wie in einem Déjà-vu aus eigener Erfahrung erinnern sollen, sagt Sugano Matsusaki. „Auf diese Weise erscheint das Fremde in einem vertrauten Horizont.“

Auch Jonas Beile arbeitet mit dem Mittel der Wiederholung. In seiner Videoarbeit „untitled.bts“ geht er anhand komplex ineinander verschachtelter Aufnahmen eines TV-Interviews aus der Front- und Backstage-Perspektive der Frage nach, wie sich Authentizität und Identität in der möglichst genauen Nachahmung vergangenen Handlungen herstellen lassen. Auf eindringliche Weise, extrem nahe an den Gesichtern und immer am Rand der Überforderung gelingt Beile hier eine entlarvende Interpretation der Rede von der „besten Version des eigenen Selbst“. Dass diese in der Regel oft eher Produkt äußerer Anforderungen ist als des freien Willens, macht sie zum Ergebnis der banalen Gleichung von Angebot und Nachfrage.