State and Nature: Kampfjets und Flamingoschwärme

Henrik Olesen, Extinguished Match (after Claes Oldenburg), 1987, Courtesy the artist, Foto © 2021, Eunice Maurice und Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
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9. September 2021
Text: Dietrich Roeschmann

State and Nature.
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8a, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 31. Oktober 2021.
www.kunsthalle-baden-baden.de

Jan St. Werner, Encourage the Stream, 2021, Courtesy the artist, Foto © 2021, Eunice Maurice und Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
Mehtap Baydu, Sahmaran, 2021, Courtesy the artist, Foto © 2021, Eunice Maurice und Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
Henrik Olesen, Extinguished MatchNeda Saeedi, Two Shades of Green, 2021, Installationsansicht © Cagla Ilk; Mehtap Baydu, Courtesy the artist, Foto © 2021, Eunice Maurice und Staatliche Kunsthalle Baden-Baden

Die Zeit ist gerade günstig, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, wie alles mit allem zusammenhängt. Plötzlich führt da ein Virus Regie, wo wir eigentlich dachten, selbst das Heft in der Hand zu haben. Die Artenvielfalt schwindet. Extremwetterereignisse lösen Überschwemmungen aus und Waldbrände –  und lassen uns an den Überzeugungen zweifeln, mit denen wir bislang unser Verhältnis zur Welt definierten. In ihrer erschreckenden Dynamik nagen diese Krisen an unserer Selbstgewissheit und stellen uns in unserer Ignoranz bloß. Vor allem aber halten sie eine Erkenntnis bereit, die seit längerem endlich ins allgemeine Bewusstsein sickert, auch in der Kunst: Der Mensch ist über nichts erhaben, er steht nie draußen, sondern ist immer mittendrin. Aktuell erzählen davon gleich mehrere Ausstellungen – in Karlsruhe etwa die umfassende Themenschau „Critical Zone“ im ZKM und die Große Landesausstellung „Inventing Nature“ in der Staatlichen Kunsthallle mit rund 150 Werken aus fünf Jahrhunderten, in der Fondation Beyeler in Riehen die dichte Sammlungspräsentation „Natureculture“.

Auch die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung – der ersten des neuen Leitungsduos Çağla İlk und Misal Adnan Yıldız – dem Verhältnis von Mensch und Natur. Im Fokus stehen hier jedoch die Spuren, die der ordnende Blick der instrumentellen Vernunft, die staatliches Handeln und die Kräfte der Globalisierung in der Landschaft hinterlassen und in der Art und Weise, wie wir Natur sehen. Ganz im Sinn der Neuausrichtung der Kunsthalle als Präsentations- und Produktionsplattform für junge Kunstschaffende gaben İlk und Yıldız den Beteiligten dafür lediglich einen gedanklichen Rahmen vor, den diese dann im gemeinsamen Austausch füllten. Der Werkstattcharakter der Ausstellung ist so unübersehbar. Anders als die ausgefeilten Themenschauen in Karlsruhe und Basel präsentiert sich „State and Nature“ in Baden-Baden als überraschend sprunghafte Abfolge disparater Positionen, die eher auf Offenheit setzt statt auf die große Erzählung. Lockerer Bezugspunkt ist dabei die Kunsthalle als traditionsreicher Ort der Auseinandersetzung mit Kunst in einer Stadt, in der Luxus, Wellness, Diskretion und ein Faible zum Lustwandeln gleichermaßen den öffentlichen Raum prägen.

Den Auftakt macht Neda Saeedis (*1987) Installation „Two Shades of Green“. Das Herbarium in Form eines Baumes mit Zweigen aus der Parklandschaft vor der Kunsthalle wird flankiert von in Schneekugeln gefangenen Avataren aus einer Zukunft, in der Architektur und Natur ineinander diffundieren. Henrik Olesen (*1967) platziert im zentralen Saal ein riesiges abgebranntes Streichholz als eine Art Metapher für den Verlust von Stabilität durch die Freisetzung von CO2, während Simone Demandt (*1959) nebenan fünf nüchterne Foto-Porträts von zerklüfteten Wurzelfragmenten einer in Baden-Baden gefällten Weide zeigt. Als Studie über die Objektivierung des Organischen korrespondiert ihre Serie gut mit einer poetischen Foto- und Videoinstallation von Stelios Kallinikou (*1985), der in der Überblendung von südwärts ziehenden Flamingo-Schwärmen und patrouillierenden Kampfjets am Himmel über Zypern das Verhältnis von Natur und Staat auf die formalen Ähnlichkeiten ihrer Bewegungsmuster hin untersucht. Mehtap Baydu (*1972) hingegen richtet ihren Blick auf Naturmythologien. Aus Stoffspenden von befreundeten Frauen hat sie ein Bild der anatolischen Fruchtbarkeitsfigur Sahmaran zusammengenäht, das sie als Statement gegen die natur- und frauenverachtende Politik der aktuellen türkischen Regierung verstanden wissen will. Simon Denny (*1982) wiederum präsentiert eine Drohnenskulptur als sperriges Vehikel des Nachdenkens über Landschaft in Zeiten des digitalen Kapitalismus. Dazu rauscht irgendwo draußen ungewöhnlich laut das Flüsschen Oos im künstlich angelegten Bachbett entlang der einst für die reiche Oberschicht Baden-Badens gestalteten Flaniermeile. Jan St. Werner (*1969), Soundkünstler und Mitglied des Electro-Duos „Mouse On Mars“, hat es per Mikrophon verstärkt, gewissermaßen als Echo einer staatlich domestizierten Natur im Resonanzraum der Kunst. Die seltsame Ratlosigkeit, die am Ende dieses durchaus kurzweiligen Parcours bleibt, kann es jedoch leider nicht übertönen.