Maya Schweizer: Erinnerungsarbeit zwischen Subjekt und Geschichte

Maya Schweizer, A Tall Tale, 2017, Filmstill, Courtesy the artist & ASPN Galerie Leipzig, © Maya Schweizer / VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Review > München > Museum Villa Stuck
9. März 2021
Text: Roberta De Righi

Maya Schweizer: Stimmen.
Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, München.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, jeder 1. Freitag im Monat 11.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 24. Januar 2021.
www.villastuck.de

„All die Bilder werden verschwinden“ schreibt die französische Schriftstellerin Annie Ernaux in ihrem Roman „Die Jahre“, in dem sie die Zeit zwischen 1940 und 2000 nicht als persönliche Erinnerung, sondern als Chronik ihrer Generation festhält. Die Film-Künstlerin Maya Schweizer (*1976) bezieht sich auf Ernaux und geht genau umgekehrt vor: Sie sucht Bilder für die schwindende Erinnerung. Unter dem Titel „Stimmen“ zeigt die Münchner Villa Stuck nun elf Filme Schweizers, die in Leipzig und Berlin studierte und sich in einem Œuvre zwischen Dokumentation und Experiment mit der Beschaffenheit von Ge­dächt­nis und Gedenken auseinandersetzt.

In „Passing Down, Frame One“ rekonstruiert sie die Überlebensgeschichte ihrer jüdischen Großmutter. In „Der sterbende Soldat von Les Milles“ lässt sie ihre Kamera rund um die Gedenkstätte „Le Camp des Milles“ bei Aix-en-Provence schweifen: Eine im Zweiten Weltkrieg als Internierungslager genutzte Ziegelfabrik, wo auch Lion Feuchtwanger interniert war – und von wo aus unter dem Vichy-Regime mehr als 2000 Juden nach Auschwitz deportiert wurden. Schweizer zeigt eine Collage des Ortes und der Gedenktafeln, aber auch das Kriegerdenkmal auf dem Dorfplatz. Viel Raum bekommt die Gegenwart, etwa Pétanque-Kugeln und ihre tätowierten Spieler – Motive, die in diesem Kontext unterschwellig Gewalttätigkeit transportieren.

Ob der Vesuv in „Insolite“ oder das verfallende Herrenhaus in „A Tall Tale“, Schweizer hat ein Gespür für sinnbildhafte Sujets und Schauplätze und reichert sie mit Zitaten aus Literatur und Filmgeschichte an. Ihre Vorgehensweise ist, wie sie im Gespräch mit Villa-Stuck-Direktor Michael Buhrs bekennt, „assoziativ“. Einer Treppenhaus-Spirale folgt eine Schnecke, zwischen porösen Mauern, Wasserläufen und Nebenschwaden tauchen staubende Boviste, Mollusken aller Art, Spinnen und Käuze auf.

Sie erzeugt subjektive Assoziationsketten wie auch im jüngsten, für die Villa Stuck entstandenen Film „Voices and Shells“. Da befindet man sich anfangs in Münchens Kanalisation; die Stadt als Körper – man steigt quasi in die Unterwelt des Bewusstseins hinab, lauscht einer flüsternden Stimme. Der aktuelle Blick auf NS-Fassaden wird durch Found-Footage-Material ergänzt. Später sieht man flatternde Flugblätter im Lichthof der Universität, Schneetreiben über dem Königsplatz, Flammen. Die Bücherverbrennung kommt einem dann fast von selbst in den Sinn. Das Suggestive dieser Fragmente ist packend, aber auch problematisch. 75 Jahre nach Ende des „Dritten Reiches“ wird die Erinnerungsarbeit immer subjektiver. Auch Maya Schweizers Bilder- und Gedankenfluss schiebt sich so vor den historischen Hintergrund, dass sich der Betrachter leicht darin verliert. Man fragt sich, was steht hier im Mittelpunkt? Die Schrecken der Geschichte oder die Künstlerpersönlichkeit, die diese verarbeitet?

[Roberta De Righi]