Corona Studios II: Susanne Kühn

Aufnahme des Ateliers von Susanne Kühn, 2020, Foto: privat
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9. März 2021
Text: Susanne Kühn

Susanne Kühn, *1969 in Leipzig, lebt und arbeitet in Freiburg und Nürnberg.
www.susannekuehn.com

Susanne Kühns Beitrag zu Corona Studios I vom 11. Mai 2020 finden Sie hier.

Die Künstlerin wird vertreten von der Galerie Beck & Eggeling, Düsseldorf.

Flash, Sketch, Flash Realism, Realismus, Dokument, Information, Sprache und Technik – diese Begriffe zirkulieren in meinem Kopf, seit ich versuche, das verbal zu umfassen, was im ersten Lockdown der Covid-19-Pandemie 2020 in meinem Atelier passiert ist: Ich habe neun mittelgroße Bilder gemalt, in denen vertraute Orte meiner Familie und mein Atelier zu sehen sind. Sie sind einerseits durch die physische Abwesenheit des Menschen geprägt, andererseits leben sie von seiner Anwesenheit, die sich in der Lesbarkeit einer vielschichtigen Lebenssituation und ihrer digitalen Kommunikationswege ausdrückt. Durch die gesellschaftliche Notwendigkeit, soziale Kontakte zu minimieren und den persönlichen Aktionsradius auf wenige Orte zu beschränken, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen, wuchs in mir das Bedürfnis, meine Arbeitsweise und inhaltlichen Interessen als Malerin einer Prüfung zu unterziehen. Ich glaube, dass sich insbesondere mein Verhältnis zu Ort und Zeit durch die Infektionsschutzmaßnahmen verändert hat, und ich möchte im Folgenden versuchen, dies zu beschreiben. In vergangenen Werkgruppen – beispielsweise in den Bildern aus den Jahren 2011 und 2012 –, die für spezifische Ausstellungen entstanden sind, beschäftigte mich, wie ich mir Orte und Handlungsmuster aus Gemälden der europäischen Malereigeschichte aneignen und diese in ein Verhältnis zur mich umgebenden Natur setzen kann. Die dargestellten Menschen – meine Freundinnen – dienten als Vermittlerinnen zwischen der Urbanität als Trägerin von (Bild-)Geschichte und der Natur als aktuellem Lebensraum. Darüber hinaus sind sie Indikatorinnen für die Zeit.

Anknüpfend an diese Gedankengänge und Bildfindungen, aber auch aus der Beobachtung heraus, dass meine Bilder eine stärkere Wirkkraft entfalten können, wenn ein Alter Ego oder Avatar von mir im Bild auftaucht, habe ich im Jahr 2018 das Bild „Robota“ gemalt. In diesem Bild, das sich zu den Rändern hin auflöst und die Farbe des umgebenden Raumes annimmt, kann man mich in drei unterschiedlichen Handlungen wahrnehmen: an einer Maschine  arbeitend (Fabrikarbeit als Jugendliche, die Teil der ostdeutschen Schulausbildung war), lesend auf einer Bank (Zitat des flämischen Malers Rogier van der Weyden) und am Kamin ein Feuer schürend (zu Hause bei meinen Eltern). Das Narrativ des Bildes ist in einer komplexen Bildkomposition festgeschrieben. Unterschiedliche Handlungen in natürlichen und urbanen Räumen sind in kontrollierten Bildsprachen formuliert, die Bezug auf Kunstgeschichte, Gesellschaft, Technik und Zeit nehmen. Die Farbe, ihre Wirkkraft und Spezifität, ihre materialtechnische Brillanz und Form des Auftrages, ihre ästhetische Sprache sind bewusst miteinander und gegeneinander durchdekliniert. Mir ist dieses Bild sehr wichtig, weil ich den Eindruck habe, dass sich das Bild in Form und Inhalt mit dem Raum verbindet und in der Lage ist, Zusammenhänge zu aktivieren: Bild und Raum, Bild und Mensch, Bild und Ort, Bild und Zeit. Ich kann nicht präzise formulieren, warum nun die in meinen Augen erfolgreiche Bildfindung in „Robota“ nicht dazu geführt hat, genau diese Strategie in der Abgeschlossenheit meines Ateliers im ersten Lockdown fortzuführen.

Vielmehr möchte ich behaupten, dass in einer Zeit mit extremen gesellschaftlichen Veränderungen, in der das Leben der Menschen durch eine Pandemie existenziell bedroht ist und die folglich auch gesellschaftliche Instabilität und Wandel hervorruft, eine spezifische Form des künstlerischen Ausdrucks gefordert ist, beziehungsweise das infrage gestellt wird, was bis zu diesem Zeitpunkt funktioniert hat. Konkret habe ich verschiedene Aspekte meiner Malerei in den jüngsten Gemälden geändert: Ich habe das Dargestellte neu definiert, die komplexen Bildsprachen reduziert, die Bildkonzeption geändert, und ich habe mich einmal mehr gefragt, wie ich die Beziehung von Bild und Betrachter*in im Raum an einem bestimmten Ort aktivieren kann.

An dieser Stelle möchte ich auf zwei dieser Veränderungen etwas genauer eingehen. Zum einen ist es die Form der Darstellung, zum anderen das Dargestellte selbst. Ich sprach im Zusammenhang mit dem Bild „Robota“ davon, dass ich in meiner malerischen Praxis eine komplexe informierte Bildsprache entwickelt habe, die es mir ermöglichte, mich mit der Bildgeschichte der Malerei bis heute auseinanderzusetzen. Das heißt, meine malerische Sprache so technisch und diachronisch informiert anzureichern, dass die zeitgleiche Disposition von Lasurmalerei, Comic, digitalen Zeichen etc. bewusst den Inhalt des Bildes stärkt und in ein Spannungsfeld setzt. Im Hinblick auf die Bilder, die ich nun von meiner unmittelbaren privaten Umgebung in Familie und Atelier malen wollte, erschienen mir diese Charakteristika nicht mehr relevant oder überfrachtet. Vielmehr suchte ich nach einer möglichst uninformierten Malweise, um die Unmittelbarkeit der momentanen Situation herauszustellen. Uninformiert deswegen, weil ich verhindern wollte, dass die gemalte Realität von den Wertewelten vergangener Darstellungsmethoden überlagert wird. Folglich sind die Bilder meines Schreibtischs im Atelier, meines Computerbildschirms, der Gehhilfe im Treppenhaus meiner Familie oder der Tischdecke mit den Tellern im Hutschenreuther Zwiebelmuster und Mundnasenmaske hastig gemalt, sie dokumentieren direkt und unkorrigiert, was ich gesehen habe, festhalten und teilen möchte. Sie entsprechen der erlebten Realität; die dargestellten Objekte sind selbst Referenzträger und mein Ziel ist es, so wenig Wertung wie möglich durch die Malerei selbst über das Sichtbare zu legen. Ich nutze dabei die Wirkkraft moderner Pigmente und ihrer hochpotenten Acrylmedien, die das Vermögen haben, Licht kraftvoll zu reflektieren und den gemalten Ort zu elektrisieren, so wie das Licht eines Bildschirms es vermag, Bilder zum Leuchten zu bringen.

Der Text ist zuerst im Katalog Susanne Kühn. FLASH zur gleichnamigen Ausstellung bei Beck & Eggeling Düsseldorf erschienen, gefördert durch StiftungKunstFonds.


Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg