Mon Nord est ton Sud.
La Kunsthalle Mulhouse, 16, rue de la Fonderie, Mulhouse.
Mittwoch bis Freitag 12.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 11. November 2018.
Die Rezension zum ersten Teil des Ausstellungsprojekts „Your North is My South“ im Museum für Neue Kunst Freiburg finden Sie hier.
Gil & Moti haben beschlossen, sämtliche Grenzen aus ihrem Leben zu tilgen. Deshalb teilen sie seit gut 20 Jahren alles und jedes: Zeit, Geld, Dinge. Sie tragen die gleiche Kleidung, sprechen mit denselben Menschen, bewegen sich gemeinsam durch das Leben und die Welt, wo immer sie gerade sind. Auf radikale Weise haben sie so ihre persönlichen Identitäten im Paarsein aufgelöst und nutzen den neuen Status als übersubjektive Entität für ungewöhnliche Recherchen in sehr realen Grenzgebieten. Dabei legen sie eine bemerkenswerte Konsequenz an den Tag. Für ihre Videoarbeit „Dutch Volunteers” etwa, die derzeit in der Kunsthalle Mulhouse zu sehen ist, nahmen die beiden gebürtigen Israelis die niederländische Staatsbürgerschaft an, um sowohl in Israel als auch im Westjordanland drehen zu können. Als Freiwillige einer NGO machten sie sich hier auf die Spur junger israelischer Hippies, die als Siedler in den besetzten Gebieten in einer utopischen Kommune leben, und befragten Palästinenser nach deren Alltag im Schatten des Zaunes, der ihre Lebensrealität von ihren nur wenige Meter entfernt lebenden israelischen Nachbarn trennt.
„Dutch Volunteers”, als Zwei-Kanal-Projektion in einem kleinen Pavillon gezeigt, ist eine packende Arbeit über unterschiedliche Perspektiven auf ein und denselben Gegenstand. Sie steht damit exemplarisch für das Thema der Gruppenschau „Mon Nord est ton Sud”, die den zweiten Teil einer Ausstellungskooperation mit dem Freiburger Museum für Neue Kunst bildet, wo bis Anfang Oktober die Gruppenschau „Your North is my South” über Grenzen im virtuellen Raum zu sehen war. Sandrine Wymann, Direktorin der Kunsthalle und Kuratorin der Schau in Mulhouse, hatte schon zur Eröffnung in Freiburg im April auf die eigentümliche Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz hingewiesen, die beide Städte miteinander verbindet. Welchen Einfluss hat die geografische Lage von Mulhouse im Norden Frankreichs auf die Mentalität der Menschen, die dort leben, welchen die Lage Freiburgs im deutschen Südwesten auf dessen Bewohner? In Mulhouse nimmt Wymann Fragen wie diese jetzt zum Anlass, um mit zehn Kunstschaffenden „Überlegungen anzustellen, welche Unterschiede zwei Objekte oder Situationen aufweisen, die sich nahe stehen oder miteinander verwechselt werden können.”
Für die griechische Künstlerin Georgia Kotretsos ist eines dieser täuschend ähnlichen und doch komplett verschiedenen Settings der Strand von Ithaka – mythische Heimat des Odysseus und heute rettendes Ufer für Flüchtlinge –, in den sie mit den Sonnenschirmen der Touristen auf Englisch und Arabisch das Wort „Help” steckte. Die in Los Angeles lebende Brasilianerin Clarissa Tossin präsentiert in Mulhouse dagegen die Doppelgeschichte zweier identischer Arbeitersiedlungen, die Ford 1935 in Michigan und im Amazonasgebiet für die Holz- und Kautschuk-Ernte baute. Ihre anrührende Foto- und Videoarbeit „When Two Places Look Alike” erzählt vom ungleichen Altern der Städte-Doubles und den disparaten Träumen ihrer Bewohner. Auch Maarten Vanden Eyndes Skulpturen kreisen um das erzählerische Potenzial des Ähnlichen. So tauschte er mit einem Bildhauer aus Kamerun eine fabrikneue Kettensäge gegen eine orignialgetreue Kopie, die der Künstler zuvor für ihn aus Ebenholz geschnitzt hatte. Diese Skulptur, die jetzt in Muhouse zu sehen ist, ist das Resultat eines vertrackten Fair-Trade-Deals: Während die Replik auf der Art Brussels als Kunstwerk für ein Mehrfaches des Wertes einer Kettensäge an einen Sammler verkauft wurde, kann der kamerunische Künstler das Holz für seine Arbeiten mit dem realen Werkzeug jetzt deutlich schneller schlagen als früher mit der Axt. Der französische Konzeptkünstler Youssef Tabti wiederum hat eine zweisprachige Zeitung herausgegeben, die Meldungen zu gleichen Themen aus der deutschen und elsässischen Lokalpresse zu einem erhellenden Dialog über die Region montiert. Ein geradezu romantisches Finale dieser sehenswerten Schau bietet das St. Petersburger Künstlerkollektiv Chto Delat mit dem wunderbar surrealen, 48-minütigen Filmmusical „No border” über die kulturellen Missverständnisse eines Liebespaares an der norwegisch-russischen Grenze, wo sich einst Nato und Warschauer Pakt unversöhnlich gegenüber standen.