Koki Tanaka: Übungen in Empathie

Review > Zürich > Migros Museum für Gegenwartskunst
6. Oktober 2018
Text: Annette Hoffmann

Koki Tanaka: Vulnerable Histories (A Road Movie).
Migros Museum für Gegenwartskunst, Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag bis Freitag, 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 11. November 2018.

www.migrosmuseum.ch

Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen:
Koki Tanaka: Vulnerable Histories (An Archive), JPR Ringier, Zürich 2018, 120 S., 38 Franken / 32 Euro.

Einen Moment lang macht sich Ratlosigkeit breit auf Woohi Chungs Gesicht. Während sie noch nicht einmal wählen darf, stimmt Christian Hofer also über sämtliche Belange des Gemeinwohls ab? Nach Japan sind die Vorzüge der Schweizer Volksabstimmungen noch nicht gedrungen. Die 1994 geborene Woohi Chung ist nicht etwa erst kürzlich nach Japan eingereist, ihre Familie gehört den Zainichi-Koreanern an, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Japan immigrierten. Die Kolonialmacht Japan brauchte dringend billige Arbeiter. Diejenigen Koreaner, die sich nach dem Ende der Kolonialzeit entschieden, zu bleiben, wurden staatenlos. Einerseits war der Druck, sich zu assimilieren, groß, andererseits gab es keine Zugeständnisse, die heute 700.000 Zainichi-Koreaner politisch gleichzustellen. Vor ein paar Jahren entlud sich der Volkszorn über dieser Minderheit, auf Demonstrationen forderte man sie zur Rückkehr auf und bedrohte sie mit dem Tod. 2016 wurde der so genannte „Hate Speech Act“ verabschiedet, doch die rechtliche Situation ist unklar geblieben.

Die Ausstellung im Migros Museum für Gegenwartskunst „Vulnerable Histories (A Road Movie)“ von Koki Tanaka (*1975) erzählt dieses für sein Heimatland Japan unrühmliche Kapitel als Geschichte der persönlichen Begegnung zwischen Woohi Chung und Christian Hofer. Ein bisschen wirkt dies wie ein Slow-Date, wenn Woohi Chung den Schweizer mit japanischen Wurzeln abholt, sie gemeinsam kochen und den Ort der Demonstration besuchen, die einen Höhepunkt der öffentlichen Stimmungsmache in Japan darstellte. Ihre Begegnung ist dadurch geprägt, dass sie einander zuhören, ihre unterschiedlichen Erfahrungen der Fremdheit vergleichen und so bilden sie ein konträres Gegenteil zu den verhärteten Fronten des politischen Klimas.

Derartige Personalisierungen exemplarischer Lebensläufe kennt man eher vom zeitgenössischen Theater. Und ein wenig leiht sich Koki Tanaka, der 2017 an den Skulptur Projekten Münster und der Venedig-Biennale teilnahm, auch deren Dramaturgie. Koki Tanaka überlagert das Zusammentreffen durch fiktive Elemente, indem er es durch den Film „Before Sunrise“ überformt. „Vulnerable Histories (A Road Movie)“ zeigt die Schwierigkeiten der Visualisierung eines Themas, das vielleicht besser journalistisch oder durch einen Dokumentarfilm hätte aufgegriffen werden sollen. Mehrere Ausdrücke des Mailwechsels, der zwischen den beiden hin und her geht, hängen an den Wänden, sie berichten über die jeweiligen Familiengeschichten, die von Aufbrüchen, Scheitern und auch Ressentiments geprägt sind. So sah sich die japanische Linie von Hofer in den 1940er Jahren der Ablehnung der Amerikaner ausgesetzt, wie viele andere wurde auch seine Familie in Lagern interniert. Die Briefe erweisen sich als Skript des Videos, das die erste Begegnung der beiden zeigt. Familienfotos, die sie austauschen, finden sich groß aufgezogen auf Ausstellungsflächen. Alles ist miteinander verflochten, alles gehört zusammen: Familien- und Zeitgeschichte, Gegenwart und Vergangenheit. Und doch wirken die Medien, die Koki Tanaka wählt, wie Hilfskonstruktionen.

Als Zustand des Dazwischen beschreibt Woohi Chung ihr Leben in Japan, der Film findet dafür Bilder in der Peripherie von Tokio und Kanagawa – zwei Städte, die auch für das Verhältnis zwischen Zainichi-Koreanern und Japanern zentral sind. Die Berichte zeigen die Bedeutung der koreanischen Schule in Japan auf, sprechen die Schuldzuweisungen nach dem Erdbeben von 1923 an, die zu pogromartigen Zuständen in Japan führten. Diese Form der Geschichtsvermittlung ist wichtig und sympathisch in ihrem selbst gestellten gesellschaftspolitischen Auftrag, doch ihre Form und Sichtbarmachung als Roadmovie überzeugt nicht völlig.