Your North is my South: Gespräche mit Hologrammen

Review > Freiburg > Museum für Neue Kunst
26. April 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Your North is my South.
Museum für Neue Kunst, Marienstr. 10a, Freiburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 7. Oktober 2021.

www.freiburg.de/museen
www.kunsthallemulhouse.com

Die Rezension zum zweiten Teil des Ausstellungsprojekts in der Kunsthalle Mulhouse finden Sie hier.

Irgendwann, sagt Sandrine Wyman, sei sie in Berlin unterwegs gewesen und wurde gefragt, woher sie komme. Aus Mulhouse, antwortete sie, hinter Freiburg gleich über die Grenze – von Berlin aus gesehen also im tiefsten Süden. Wymann muss lachen: „In Frankreich würde niemand auf die Idee kommen, Mulhouse mit dem Süden in Verbindung zu bringen”, sagt sie. Im Gegenteil: In der Wahrnehmung der Franzosen gelte die Stadt eher als Nordlicht, von dunklen Höhen und feuchten Wäldern umgeben.

Für Wymann, die seit 2009 die Kunsthalle Mulhouse leitet, war diese gegensätzliche Wahrnehmung ein und der selben Region eine der zentralen Fragen, die sie reizten, als sie im vergangenen Jahr zusammen mit Christine Litz, Leiterin des Freiburger Museums für Neue Kunst (MNK), und der jungen Kuratorin Elena Frickmann über eine grenzüberschreitende Kooperation beider Häuser nachdachte. Wymann ist mit dem Thema seit langem vertraut – die von ihr kuratierten „Regionale”-Schauen in Mulhouse gehören regelmäßig zu den interessantesten und präzisesten Statements der trinationalen Jahresausstellungen.

Umso überraschender ist vor diesem Hintergrund, dass der am Wochenende im Freiburger MNK eröffnete erste Teil des Kooperationsprojekts „Your North is my South / Mon Nord est ton Sud” nicht den geografischen Raum in den Fokus rückt, sondern den im topografischen Sinn eigentlich ortlosen virtuellen Raum. In der Ausstellung gehe es darum, den digitalen Raum zu erforschen und zu erkunden, was er mit uns mache, sagt Frickmann, die wesentlich für das Konzept der Freiburger Schau verantwortlich zeichnet. „Ein gutes Beispiel sind die dort allgegenwärtigen Algorithmen, die beeinflussen können, welche Nachrichten wir konsumieren, welche Informationen oder Empfehlungen wir erhalten und damit oft auch, welche Entscheidungen daraus resultieren.” Für die Ausstellung selbst resultiert daraus der umfassende Einsatz avancierter Technologien wie VR-Brillen, Hologramm-Visualisierungen oder netzbasierter Animationsprogramme. Ein solches etwa schrieb das Künstlerduo Michael Bielicky & Kamila B. Richter für ihre monumentale interaktive Arbeit „The Garden of Error and Decay”. Von Twitter-Katastrophennachrichten und vom realen Apple-Börsenkurs in Echtzeit gesteuert, kann sich der Besucher hier per Joystick in ein dystopische Erzählung einbringen und sich so ganz bewusst der Illusion hingeben, unabhängig zu handeln. Die Südafrikanerin Carly Whitaker entführt mit ihrer Rauminstallation „digilove” nebenan dagegen an einen hyperrealen Ort, an dem das Digitale durch ständigen Lichtfrequenzwechsel, Vibration und Klingeltonreize als eine Wirklichkeit lesbar wird, auf die wir längst auch körperlich reagieren.

Als eigenen Raum bespielen diese Wirklichkeit auf sehr unterschiedliche Weise der pakistanische Künstler Asad J. Malik und der Deutsche Patrick Alan Banfield. Während Banfield einzelne Besucher mit seiner Installation „Mein Blick” per VR-Brille in ein 360-Grad-Panorama aus parallel geschnittenen Bilder von Gewalt, Protest, Natur, Intimität und Harmonie verstrickt, deren Blick die anderen, umstehenden Besucher gewissermaßen als Voyeure auf einem Außenmonitor folgen dürfen, nutzt Malik die Augmented-Reality-Technologie für eine Dokumentation über junge Muslime in den USA, die in Gestalt von Hologrammen über ihre Erfahrungen mit zunehmender Stigmatisierung berichten. So eindrücklich diese Arbeit ist, so offen bleibt aber auch, inwieweit AR-Technik hier notwendig oder sinnvoll ist, um das Dokumentarische künstlerisch zu brechen.

Dass es auch anders geht, zeigt der Neuseeländer Simon Denny, der mit der Installation „Blockchain Future States” hier im Layout eines Gesellschaftsspiels und im cleanen Look eines Messestandes als Marketingexperte für das System der dezentralen Speicherung verschlüsselter Daten auftritt, das die Grundlage der Digitalwährung Bitcoin bildet. Mit seiner komplexen Engführung von Netzkritik, investigativer Recherche und Zukunftsoptimismus gehört Denny heute zu den wichtigsten Protagonisten der Konzeptkunst in digitalen Zeitalter. Flankiert wird seine Arbeit im MNK von Louise Drulhes „Critical Atlas of the Internet”, einer spektakulären Visualisierung der unterschiedlichen, von politischen, ökonomischen und sozialen Aspekten abhängigen Formen des Internets, sowie von einem unbetiteltem Tritychon Maximilian Arnolds, das als einzige malerische Position dieser Ausstellung eine ebenso sinnliche wie hochkomplexe Idee von Raum entfaltet.

Man darf gespannt sein, wie Sandrine Wymann an „Your North is my South” anknüpfen wird. Sicher ist jetzt schon: Ihre Ausstellung „Mon Nord est ton Sud”, die am 13. September in der Kunsthalle Mulhouse eröffnen soll, wird sich ganz dem realen, geografischen Raum zuwenden.