Jörg Immendorf: Für alle Lieben in der Welt.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1. München.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 27. Januar 2019.
Wer das Haus der Kunst betritt und die monumentalen Säulen an der Südfassade des neoklassizistischen Baus passiert, wird unweigerlich an die Entstehungszeit dieses Gebäudes erinnert, das Adolf Hitler persönlich als Haus der Deutschen Kunst 1933 in Auftrag gegeben hatte. Dass ausgerechnet in diesen Räumen nun die erste große Ausstellung von Jörg Immendorff (1945-2007) gezeigt wird, ist bedeutend, gilt Immendorff doch als einer der wichtigsten deutschen Maler der Nachkriegszeit. Etwa 200 Arbeiten aus über vier Jahrzehnten geben einen umfassenden Überblick auf sein Lebenswerk.
Der Rundgang ist nur grob chronologisch angelegt, oft gibt es zeitliche Sprünge zugunsten einer thematischen Gruppierung der Arbeiten. Den Auftakt machen frühe Arbeiten aus den 1960er Jahren. Als Student von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie reagierte Immendorff mit Happenings und Aktionen auf das politisch aufgeheizte Klima dieser Jahre. Mit seiner damaligen Lebensgefährtin Chris Reinecke entwickelte er das nach einem dadaistischen Kunstwort benannte LIDL-Projekt. Kleinformatige Kreidezeichnungen auf Holzplatten dokumentieren die Entwürfe einer LIDL-Stadt und einer LIDL-Akademie. Mit anti-autoritären Utopien wollte LIDL das politische Establishment provozieren.
Der Rauswurf aus der Akademie 1969 steigerte Immendorffs politisches Engagement. Er wurde in der KPD aktiv und Kunstlehrer an einer Hauptschule. In den Arbeiten aus dieser Zeit stehen Bild und Text gleichwertig nebeneinander. Städtebilder von Frankfurt und Köln etwa dokumentieren und kommentieren Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Seine Rolle als Pädagoge reflektierte Immendorff in Bildern, die exemplarische Szenen aus dem Schulleben und sein Bestreben nach gemeinschaftlich gestaltetem Unterricht zeigen. Kunst und Politik waren ihm in dieser Zeit gleichwertige und gleich wichtige Interessen. Dabei stellte er explizite Fragen nach der gesellschaftlichen Verantwortung des Künstlers wie in dem bekannten Bild: „Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“ von 1973. In einem Realismus, der an Propagandabilder der Ostblockstaaten erinnert, ist er selbst zentral platziert und weist breitbeinig, mit brauner Lederjacke, entschlossenem Blick und entschiedener Geste einem Maler den Weg aus dem Atelier nach draußen zum Klassenkampf auf die Straße.
Ab 1978 entstand Immendorffs 19-teiliger Zyklus „Café Deutschland”, zu dem ihn Renato Guttusos „Caffè Greco” (1976) inspiriert hatte. Nach Guttuso entwirft Immendorff auf monumentalen Formaten überbordende Interieurszenen, in denen er sich umgeben von Intellektuellen und Politikern aus beiden Teilen Deutschlands in Cafés und Bars inszeniert. Seine Kritik an der deutschen Nachkriegspolitik ist unmissverständlich. Immer wieder tauchen in diesen energiegeladenen Bildern explizite Symbole wie Adler, Hakenkreuz, Deutschlandfahne, aber auch Teile der Mauer sowie Hammer und Zirkel auf. Fortan verschreibt sich Immendorff ganz der Kunst. Sein Geburtsort Bleckede in Niedersachsen war in einen Ost- und einen Westteil gespalten. Die deutsche Teilung betraf ihn somit auch ganz persönlich und wurde Gegenstand vieler Bilder und Skulpturen. Für die documenta 7 schuf er eine monumentale bemalte Bronzeskulptur mit dem Titel „Naht (Brandenburger Tor – Weltfrage)“: Sinnbild für die Grenze zwischen BRD und DDR und zugleich, wie auch die „Café Deutschland”-Bilder, retrospektiv betrachtet eine erträumte Vorwegnahme der Wiedervereinigung.
Der Titel der Ausstellung „Für alle Lieben in der Welt“, einer frühen Werkserie entnommen, die pausbäckige, comicartig überzeichnete Babys verschiedener Hautfarben als friedensstiftende Antwort auf den Vietnamkrieg zeigt, mag zunächst fehlleitend wirken, lenkt aber auch den Fokus auf eine fragile und zarte Seite, die in seinem Spätwerk deutlicher hervortritt. Trotz der ALS-Erkrankung arbeitet Immendorff bis zuletzt, immer im Glauben an die Kunst als intellektuelles Grundbedürfnis. Für sich selbst wie für seine Betrachter. Eine Arbeit von 1988 trägt den Titel: „Das Bild muss die Funktion der Kartoffel übernehmen“.