Americans: Zugehörigkeiten in Bewegung

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2. August 2017
Text: Dietrich Roeschmann

Americans 2017.
LUMA Westbau, Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 3. September 2017.

Die Zürcher Gruppenschau „Americans 2017” spannt den Bogen vom Szenebranding der Moderne bis zur postnationalen StaatsbürgerschaftKürzlich fragte sich der Kurator Hans Ulrich Obrist in einem Essay im Magazin des Zürcher Tagesanzeigers, wie zeitgemäß eine auf Blut oder Herkunft gegründete Staatsbürgerschaft heute noch sei. „Ich lebe seit über 20 Jahren im Ausland, reise viel, spreche nur selten Deutsch. Dennoch habe ich die Schweizer Staatsbürgerschaft und stimme in einem Land, in dem ich gar nicht lebe”. Warum ist der Ort, an dem wir zur Welt gekommen sind, oder die Gemeinschaft, in die wir hineingeboren wurden, ohne sie uns ausgesucht zu haben, wichtiger für unsere Definition von Staatsbürgerschaft als andere denkbare Modi der Identifikation?

Diese Frage stellen sich nun auch zwei Dutzend junge Kunstschaffende, die Obrist und Simon Castets in die Zürcher LUMA Stiftung eingeladen haben. Ausgangspunkt der Gruppenschau ist die Idee der „algorithmischen Staatsbürgerschaft”, ein Konzept, das der britische Künstler James Bridle 2015 mit seinem Kunstprojekt „Citizen Ex” entwickelt hat. Im Algorithmischen klingt bereits die Radikalität des Gegenentwurfs an. Die neue Staatsbürgerschaft, die Bridle beschreibt, gründet allein auf den Datenspuren, die Menschen im Internet hinterlassen. Zugehörigkeit ist damit nichts Fixes mehr, sondern ständige in Bewegung, fließend, flüchtig, wechselhaft. Die postnationale Idee dieses Konzepts ist attraktiv und bedrohlich zugleich. Denn so nachhaltig die „algorithmische” Staatsangehörigkeit das in Zeiten der Globalisierung an seine Grenzen gekommene Modell der nationalen Identität mit seinen Ausschlussmechanismen zu überwinden scheint, so wenig Grund gibt es, sich auf die Zukunft zu freuen. Seit der NSA-Affäre wissen wir, dass der Staat die algorithmische Bürgerschaft längst selbst institutionalisiert hat und die Internet-Existenz der Menschen systematisch durchleuchtet, um ihre Interessen und Bedürfnisse noch besser identifizieren zu können.

Doch auch wenn Nationalität in der Online-Welt nichts mehr zählen mag – tatsächlich ist der US-amerikanische Einfluss hier nach wie vor dominant. Um auf diese Paradoxie hinzuweisen, war es sicher keine schlechte Idee, die Gruppenschau, an der neben Kunstschaffenden aus Kuwait, China, Montenegro, Österreich, Russland, Ghana oder dem Libanon lediglich fünf Künstler aus den USA teilnehmen, „Americans 2017” zu nennen. Das Kuratoren-Duo versteht den Titel zugleich als Anspielung auf eine legendäre Ausstellungsserie, mit der das New Yorker Museum of Modern Art ab Mitte der 1940er Jahre die heimische Kunstszene gewissermaßen im Auftrag der Öffentlichkeit als wirtschaftliches, weltanschauliches und politisches Gewicht auf dem internationalen Kunstmarkt positionierte. Auch „Americans 2017” versteht sich auf strategisches Marketing. Alle beteiligten Kunstschaffenden sind 1989 oder später geboren – eine Welt ohne digitale Medien ist ihnen fremd, die Idee von Identität als personalisierter Datenpool in progress umso vertrauter. Die Schlussfolgerung, dass ihre Jugend sie zu Experten der Gegenwart macht, liegt da nahe. Umso überraschender ist, dass die coole, bohemistische Unnahbarkeit der Post Internet Art hier weitgehend fehlt. Stattdessen umkreisen die Beteiligten das Thema Zugehörigkeit in einer lebhaften Mischung aus theoretischem Interesse, Geschichtsbewusstsein, Erzähllust und bizarrem Humor. Während man sich so in komplexen Animationen des Chinesen Ye Wang (*1991) über Individualismus in der digitalen Popkultur verlieren kann oder in Andrea Crespos (*1993) fiktiver Biografie eines autistischen Jungen mit zeichnerischem Talent und unzähligen Katas­trophenbildern im Kopf, stolpert man im nächsten Moment über ein Paar wie von Geisterhand durch den Raum schlurfende Schuhe des Schweizers Yoan Mudry (*1990) oder über die Wischmopps der New Yorker Bildhauerin und Dichterin Bunny Rogers (*1990), die auf so einfache wie zwingende Weise das Verhältnis von Klasse, Hautfarbe, Geschlecht und Ausschluss thematisieren. Eine der eindringlichsten Arbeiten dieser wohl­tuend locker und offen kuratierten Schau stammt schließlich von Aslan Gaisumov (*1991). Für seine Videoarbeit „People of no Consequence” bat er 119 alte Männe r und Frauen, in einem Gemeindesaal in Grosny Platz zu nehmen, und filmte sie dabei. Es ist eine stille, anrührende Prozession der letzten Überlebenden von Stalins Deportationen der Tschetschenen und Inguschen im Winter 1944, die rund 250.00o Menschen das Leben kostete.