Harun Farocki, Counter Music: Schöne neue Arbeitswelt

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5. April 2017
Text: Roberta De Righi

Harun Farocki: Counter Music.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 28. Mai 2017.

Es klingt fürsorglich, ist aber der blanke Horror jedes Arbeitnehmers: Für seine Dokumentation „Ein neues Produkt“ filmte Harun Farocki (1944-2014) vor fünf Jahren die Optimierer des „Quickborner Teams“, wie sie über die neue Arbeitswelt „brainstormen“. Ein sehr selbstbewusst auftretender Manager schlägt dabei allen Ernstes vor, Angestellte jedes Jahr auch nach ihren privaten Zielen zu fragen und deren Realisierung zu bewerten. Falls mit der Ehefrau, dem Hausbau, den Kindern etwas schief gelaufen ist, gibt es einen Rüffel vom Arbeitgeber. Auch eine Form von Totalitarismus.

Harun Farocki schaute den Humankapital-Frankensteins im Dienste der Firmen-Effizienz wie im Direct Cinema unkommentiert zu, die anmaßende Arroganz der Manager ist unübersehbar, der Zynismus erschließt sich von selbst. Jetzt ehrt das Münchner Haus der Kunst den mit 70 Jahren verstorbenen Berliner Filmemacher, -theoretiker, Drehbuchautor und einflussreichen Lehrer an der Deutschen Film-und Fernsehakademie Berlin, der ebenso nüchtern wie entlarvend die globalen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse seit den 1960er Jahren in den Blick nahm.

Die Schau unter dem Titel „Counter Music“ ist die erste große Einzelausstellung in Deutschland und quasi das Vorglühen vor der großen Retrospektive, die heuer im Herbst in Berlin stattfinden wird. Sie wurde kuratiert von

Farockis Arbeitspartnerin und Ehefrau Antje Ehmann. Dafür wurde erstmals sein Arbeitsmaterial gesichtet und bearbeitet: In den Vitrinen werden Notizen, Fotografien von Drehorten, Probenfotos sowie natürlich die Zeitschrift „Filmkritik“ präsentiert, die Farocki von 1974 bis 1984 als Redakteur prägte – aber auch Scripts für die Sesamstraße. Den Auftakt im Treppenhaus macht die titelgebende Projektion auf zwei Leinwänden von 2004, die den Lebensraum Metropole aus damals noch ungewohntem Blickwinkel zeigen: „Gegen-Musik“ kombiniert automatische Bilder aus Überwachungskameras mit Szenen aus Walter Ruttmanns legendärem Berlin-Film „Die Sinfonie der Großstadt“.

Das vorherrschende Thema in Farockis Werken seit den 80er Jahren, die jetzt im Haus der Kunst zu sehen sind, ist aber die „Arbeit“. Es beginnt im zum Kinosaal umfunktionierten Raum 1 mit „Arbeiter verlassen die Fabrik“ von 1995, in dem er die frühesten Bilder des Kinos, „Arbeiter verlassen die Lumière-Werke in Lyon“ der Gebrüder Lumière von 1895 ebenso vorführt wie den US-Fordismus in Aufnahmen aus den Ford-Werken sowie Szenen aus Pasolinis „Accattone“ und Antonionis „Rote Wüste“. Ob Schichtwechsel, Streik, Feierabend – da werden die Fabriktore zur Kulisse für eine ganze Ära. In „Arbeiter verlassen die Fabrik in elf Jahrzehnten“ nahm Farocki den Faden 2003 mit Variationen wieder auf, hier laufen die Filmsequenzen allerdings auf zwölf Monitoren nebeneinander.

Der Bogen spannt sich bis zu „Eine Einstellung zur Arbeit“ auf 15 Monitoren im letzten Raum der Schau. Harun Farockis und Antje Ehmanns letztes gemeinsames Projekt, für das sie 2011 bis 2014 Workshops veranstalteten, Kurzvideos aus allen Kontinenten sammelten und im Netz zusammenstellten. Das Ergebnis ist eine Art globale Enzyklopädie von Arbeitsbedingungen: In Bangalore werden Schafköpfe gehäutet, in Berlin kümmert sich ein Bufdi um einen Mann im Rollstuhl, in Moskau verkauft eine Frau am Telefon Sex. Beobachtungen, die nie pittoresk in Szene gesetzt werden, denn Genremalerei ist Farocki völlig fremd. Und ein Panoptikum, dessen Vielfalt fasziniert, das aber auch ein wenig wahllos wirkt. Hier gerät die Methode der unkommentierten Beobachtung aber auch an die Grenzen: Denn man will doch zwangsläufig mehr wissen über diese Arbeiten und vor allem die Menschen, die sie verrichten.