Itziar Okariz.
Kunsthaus Baselland, St. Jakob-Str. 170, Basel-Muttenz.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 16. Juli 2017.
www.kunsthausbaselland.ch
Eine schwarz gekleidete junge Frau klettert im Halbdunkel auf ein parkendes Auto, zieht ihren Rock hoch und pinkelt breitbeinig im Stehen. Urin rinnt die Frontscheibe hinab. Nachdem die Frau fertig ist, steigt sie ungerührt wieder auf die Straße. Schnitt. Dieselbe junge Frau geht auf die riesige Fontaine eines großen Springbrunnens zu, stellt sich auf die Brunnenbrüstung, uriniert wiederum im Stehen und verlässt den Ort. Schnitt. Weitere ähnliche Szenen folgen. Die großformatig projizierte Videoarbeit „To Pee in Public or Private Spaces“, die derzeit im Kunsthaus Baselland zu sehen ist, zeigt verschiedene kurze Pinkel-Performances der baskischen Künstlerin Itziar Okariz (*1965). Unter anderem uriniert die Künstlerin auch auf einer Brücke in Brooklyn mit ihrer kleinen Tochter im Tragetuch.
Die Performances brechen Normen, schockieren. Weder ist öffentliches Urinieren erlaubt noch pinkeln Frauen im Stehen und schon gar nicht mit einem Baby auf dem Rücken. Zugleich unterstreicht jedoch gerade die letzte Szene die Natürlichkeit des Vorgangs. Warum sollte eine Mutter nicht im Stehen urinieren? Das ist doch sehr viel praktischer und bequemer für Kind und Mutter. Mit der provokanten Autopinkelaktion hinterfragt Okariz neben einengenden Geschlechtsnormen auch männliches Territorialverhalten und die herkömmliche Verbindung von Frau und Auto. Itziar Okariz gehört zu jenen Performerinnen, die sich stark mit der Gender-Diskussion der Neunziger beschäftigt haben, als die feministische Theoretikerin Judith Butler und andere postulierten, dass die Geschlechtsidentität unabhängig vom biologischen Geschlecht und performativ durch gesellschaftliche und individuelle Prozesse hervorgebracht wird.
Im Prozess der Sozialisation spielt sowohl die verbale als auch die non-verbale Sprache eine große Rolle. Okariz’ Tonarbeit „Applause“ gibt einen akustischen Eindruck von einer 2007 im Guggenheim Museum Bilbao durchgeführten Performance, die darin bestand, durch rhythmisches Klatschen das Publikum zum Mitklatschen zu bewegen. Die Intensität der non-verbalen Aufforderung, das langsame Einstimmen bis zum mächtigen Anschwellen und das tröpfelnde Abflauen lassen Bilder ähnlicher Situationen im Kopf entstehen.
Die wohl eindrücklichste Arbeit dieser Retrospektive ist ein Video im letzten Raum. Es zeigt in einer kurzen Sequenz wie die Künstlerin schreit. Der Ruf „Irrintzi“, so auch der Titel der Arbeit, stammt aus der baskischen Volkskultur. Es ist ein traditioneller Freudenschrei, mit dem – ähnlich wie beim Jodeln – von Berg zu Berg kommuniziert wurde. Der ungewöhnliche Klang, sein mimetisches Hervorbringen und die sichtbaren Emotionen der Künstlerin sind intensiv und berührend. Sodann gibt ein ganzer Raum voller weißer mit grafisch angeordneten Buchstaben beschriebener Blätter die vorsprachliche Welt des Traums wieder. Auf eine poetische Weise werden Erinnerungen in Form von kreisenden Gedankenfetzen weitergeführt, die durch Wiederholungen, Auslassungen und Ergänzungen kommen und vergehen.