Wade Guyton: Authentizität als Kalkül

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18. März 2017
Text: Dietrich Roeschman

Wade Guyton
Museum Brandhorst, Theresienstr. 35a, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 30. April 2017.

Vor vier Jahren räumte der amerikanische Maler Wade Guyton (*1972) als Teil des Duos Guyton/Walker das Kunsthaus Bregenz mit Bildern voll, die als hochkant im Raum stehende Esstische daherkamen oder als Matratzenstapel, bedruckt mit verpixelten JPGs von Zitronenschnitzen, Sonnenuntergängen, Leopardenmustern. Die Soloschau, die Guyton nur wenige Wochen später in der Kunsthalle Zürich einrichtete, verhielt sich dazu wie eine Antithese. Statt bunter Bildträger aus dem Möbelhaus dominierten hier sechs monumentale Leinwände aus dem Inkjet Printer, keine kürzer als zwölf Meter, auf denen je zwei unsauber geplottete Farbfelder in Schwarz wie riesige Balkendiagramme auf weißem Grund prangten. Schien Guytons Zürcher Schau auf die Anfänge seiner Karriere zu verweisen, als er den Tintenstrahldrucker als „Pinsel” entdeckte und begann, mit Endlosleinwand, Material- und Softwarefehlern zu experimentieren, erlaubte die Bregenzer Ausstellung einen Blick in die mögliche Zukunft seines Werkes, das seit Anfang der Nullerjahre ziemlich stil- und theoriebewusst um die Bedingungen und Auswirkungen digitaler Bildproduktion kreiste. Ob Zitronenscheibe, Tigerprint oder Colourfield: Ausgangspunkte seiner Gemälde waren und sind immer Daten, die auf Objekte treffen und  sich auf deren Oberflächen materialisieren. Das gilt auch für die Papierarbeiten, die der Amerikaner oft flankierend zu seiner Malerei in langen Vitrinen präsentiert. In seiner sehenswerten Soloschau in München sind es 120 Digitaldrucke auf Buchseiten, die er aus gebrauchten Kunstbänden herausgerissen hat. Der Titel „Zeichnungen von Drama und Frühstück im Atelier” ist Programm. Die Blätter zeigen Guytons Assistenten in der Teeküche seines New Yorker Studios, bei Meetings oder schweigend am Handy vor stapelweise herumstehenden Leinwänden, auf denen in verschiedenen Druckversionen die Fotografie einer immer gleichen Skulptur aus dem Gestell eines Marcel-Breuer-Sessels zu sehen ist, der apart derangierte Screenshot einer Anzeige für das iPhone 7 oder Handy-Fotos vom East Village aus dem Atelierfenster. Rund zwei Dutzend dieser Gemälde hängen in einheitlichem Originalformat auch in der Münchner Schau und behaupten dort als scheinbar beiläufig entstandene Serie von Studio-Snapshots, Website-Zooms oder Ansichten des verschrammten Atelierbodens eine Authentizität, die sich aber spätestens vor Guytons eigens für die Schau entstandenen Videoarbeiten als Kalkül erweist. In Leinwand-Hochformat für zwei getrennte Säle konzipiert, zeigen diese zwischen üppig wuchernden Zimmerpalmen je einen Stapel an der Wand lehnender Gemälde, die durch Überblendung ständig ihre Sortierung wechseln. Auf überraschend lässige Weise gelingt es Guyton hier, mit einer Art animierter Malerei über aktuelle Fragen der Malerei  die Grenze zwischen Leinwand und Screen zu überwinden.