Post-Peace: Der zensierte Frieden

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19. März 2017
Text: Birgit Wiesenhütter

Post-Peace.
Württembergischer Kunstverein, Schlossplatz 2, Stuttgart.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 7. Mai 2017.

Nach dem Wort des Jahres 2016 „postfaktisch“ heißt es nun auch „Post-Peace“. Man könnte den Titel der Ausstellung im Württembergischen Kunstverein mit „Nachfrieden“ übersetzen – eine Wortschöpfung, die uns vor Augen führen soll, dass der Frieden, den wir in der westlichen Welt schon Jahrzehnte erleben dürfen, nicht so friedlich ist, wie man gerne glauben mag. Wie viel Krieg steckt in unserem Frieden, lautet die zentrale Frage der Ausstellung, mit der sich die Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Kulturkreisen beschäftigen.

Die von der russischen, in Amsterdam lebenden Kuratorin Katia Krupennikova entwickelte Ausstellung zeigt nicht nur viele interessante und oft auch bewegende Werke, sondern hat selbst eine Geschichte: „Post-Peace“ gewann 2015 einen von dem türkischen Kreditinstitut Akbank Sanat ausgelobten internationalen Kuratoren-Preis und hätte dort vor einem Jahr gezeigt werden sollen. Vier Tage vor der Eröffnung wurde die Ausstellung abgesagt, ein Werk zuvor zensiert. Es handelte sich um das Video „Ayhan and me“ der türkischen Künstlerin belit sag (*1980). In der Arbeit beschäftigt sie sich mit den Grenzen der Sichtbarkeit von Zensur. Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen ist eine Fotografie, auf der Ayhan Çarkin, ein Mitglied der JITEM, einem inoffiziellen paramilitärischen Flügel der türkischen Sicherheitskräfte, zu sehen ist. 2011 hatte dieser zugegeben, dass er in den 1990er Jahren an der Tötung von über 1000 Kurden beteiligt war. Sein Geständnis wurde im Fernsehen gezeigt und ist auch in Videos auf Youtube zugänglich. Belit sags Arbeit geht über die Frage nach Machtstrukturen und Zensur in einer Diktatur hinaus. Sie reflektiert auch unseren Umgang mit Bildern, ob und wie diese unsere Realität formen. Ist das, was wir nicht zu sehen bekommen, dann einfach nicht existent, und wer hat die Macht, Bilder zu kontrollieren? Mit der Wahrnehmung der Realität setzt sich auch die Arbeit „Post Fairy Tale“ der aus Kaliningrad – dem ehemaligen Königsberg – stammenden Künstlerin Lyubov Matyunina (*1985) auseinander. In ihrer Heimatstadt, auch Geburtsort von E.T.A. Hoffmann und Immanuel Kant, kann man bis heute Relikte von Königsberg finden. 70 Prozent der Stadt wurden während des Zweiten Weltkriegs zerstört und bis heute nicht wieder aufgebaut. Die Arbeit „Post Fairy Tale“ zeigt die Realität dieser Stadt, verknüpft sie mit dem Kunstmärchen „Klein Zaches, genannt Zinnober“ (1819) von E.T.A. Hoffmann und fügt die Cyberrealität des Internets hinzu. In diesen drei Realitätsebenen spiegelt sich das Verhältnis von Macht und Ohnmacht, Realität und Schein wider. Frieden ist eine Illusion, der Krieg in den Ruinen allgegenwärtig. Das Märchen fungiert als eine Art Zuflucht und hilft, über diesen Zustand hinwegzusehen.

„Dies ist keine Ausstellung, die einen bestimmten Konflikt beleuchtet“, so die Kuratorin Katia Krupennikova, „sondern einen Zustand unserer globalisierten Welt“. Der in Ramallah lebende Künstler Yazan Khalili (*1981) macht die Gewalt sichtbar, die in seinem Heimatland herrscht, indem er seinen Fotografien von Landschaften im besetzten Palästina selbst Gewalt antut. Am Horizont ist die Fotografie aufgekratzt, beschädigt. Die israelischen Siedlungen sind nicht zu sehen. Der Krieg aber hat sich manifestiert – in Palästina und auf der Fotografie. Für Khalili ist Frieden „ein Mittel, den Konflikt immer weiter zu verlängern”.

„Post-Peace“ stellt Fragen nach unserer Erinnerungskultur, sie bezieht sich auf aktuelle Zustände, ist Ausdruck einer vielschichtigen und verstörenden Gegenwart. Sie hallt nach. Das vermag nicht allein das Thema, dessen gesellschaftliche Relevanz unbenommen ist. Dies vermögen vor allem viele gute Arbeiten. Man muss etwas Zeit für die Ausstellung mitbringen, vor allem wegen der vielen Videos. Außerdem sollte man einigermaßen Englisch verstehen und offen für die unterschiedlichen Kontexte der Arbeiten sein. Die Ausstellung ist es absolut wert, diese Hürden zu nehmen.