Albrecht Kunkel: Pilgerfahrten

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17. März 2017
Text: Seraphine Meya

Albrecht Kunkel, Quest.
ZKM
Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 23. April 2017.

In einer Retrospektive zeigt das ZKM Auszüge aus dem Nachlass des Fotografen Albrecht Kunkel (1968-2009), der bei Thomas Struth und Bernd Becher studierte und seinen Meister bei Katharina Sieverding machte. Der Titel „QUEST. Fotografien 1989-2009“ verweist auf die Suche, auf die sich der Künstler zeit seines kurzen Lebens begab. In der Ausstellung wird deutlich, wie er an verschiedensten Orten die Bedeutung des Lebens, wenn nicht des Menschseins zu finden hoffte. Was nach Verwirrung aussieht, erweist sich nach einiger Betrachtung als ein Komplex von Orten, Menschen und Zeiten, die Kunkels „Landkarte“ ergeben. Malerisch wachsen Tropfsteine in brillanten Farben gen Höhlenboden und entwickeln durch den glänzenden Diasec-Druck ihre Faszination. Auch die schroffen Felsen, die Kunkel ganz im Stil seines Lehrers Bernd Becher porträtiert, erhalten eine malerisch skulpturale Ästhetik. Das großformatige Diptychon aus Diasec-Drucken erhöht den abgebildeten Stein zu fast schon etwas Heiligem. Doch die Natur schien ihn in seiner Suche nicht zu befriedigen. Er suchte weiter, fing in Auftragsarbeiten Tilda Swinton und Chanel-Modenschauen in Paris ein oder sammelte feldstudienartig nächtliche Bilder einer Burlesque-Tänzerin und eines asiatischen Polizisten. Bei einigen Porträts, seinen Bildern der Festspiele von Cannes oder des Times Square wird nicht nur in der Motivwahl, sondern auch durch die großformatigen Prints die „deutsche Fotoschule“ erkennbar. Neben Gursky und Ruff ist vor allem der Einfluss seiner Lehrer Becher und Struth deutlich.

Der ganz eigene Blick Kunkels zeigt sich in der Serie „Pilgrimage“. Langzeitbelichtungen liefern flüchtige Lichtspuren von Menschen im heilig dunklen Rotton von Marias Grab. Im goldenen Schnitt komponiert er einen Betenden an der Klagemauer, neben ihm sitzen zwei ultraorthodoxe Juden in die Bibel vertieft. Sowohl die Porträtserie der Nonnen als auch die Serie der Schwangeren zeigen abwesende Blicke, die von Bedeutung außerhalb der dinglichen Welt zeugen oder zeugen sollen. Das Wesentliche sei für die Augen unsichtbar, schrieb Saint-Exupéry in seiner bis zum Gemeinplatz abgegriffenen Sentenz. Doch die Wahrheit dahinter, ein Sinn von Leben und Sterben, beschäftigt Menschen immer wieder oder lässt sie Glauben finden. Beim Betrachten von Kunkels Werk scheint es, als wäre der Künstler selbst auf der Suche nach einem Unsichtbaren, das er mit seiner Kamera bannen wollte. Die Diversität der Motive und Themen hinterlässt eine gewisse Leere im Betrachter: Eine Ratlosigkeit, was man mit all diesen Orten und Seinsweisen menschlichen Lebens anfangen soll. Ein Eindruck, der mit Wissen um den frühen Tod des Künstlers tragisch anmutet. Als hätte seine eigene Suche in Leere geendet ‒ und mit einem Gesamtwerk voller beeindruckender Funde aus dem Archiv der sichtbaren Welt.