Thomas Bayrle.
Lenbachhaus Kunstbau, Luisenstr. 33, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Dienstag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 5. März 2017.
Zur Ausstellung ist ein Künstlerbuch erschienen:Thomas Bayrle, Automobil, Verlag Walther König, Köln 2016, 432 S., 48 Euro.
Wahnsinn, die Mechanik im Motor eines 911er-Porsches kann nicht nur ziemlich viele PS – sondern auch eine quasi spirituelle Faszination erzeugen: Wie reibungslos die Kolben in den Zylindern auf- und abgleiten. Der Frankfurter Künstler Thomas Bayrle (*1937) ließ für seine kinetische Klang-Skulptur „Rosenkranz“ (2010) einen Sechszylinder aufschneiden und so wieder zusammenbauen, dass man nun ins Herz der Maschine blickt. Dazu hört man Motorenlärm und ein Gemurmel, dessen Text man erst nach einer Weile versteht: „Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes“. Nochmal Wahnsinn, da feiern Technik und Religion gemeinsam Messe, und ausgerechnet das „Ave Maria“ begleitet eine Ausgeburt des männlichen Prinzips an sich. Aber man sollte die Metaphern nicht überstrapazieren. Thomas Bayrle mag einfach Motoren, alle: Citroën, Moto Guzzi, Vespa. Und er mag den monotonen Singsang von Rosenkranzgebeten. „Bitt‘ für uns“ ertönt es in „Hochamt“ mit einem Sternmotor in Endlosschleife. Falls Gott doch ein DJ sein sollte, ist Bayrle sein Prophet.
Das Münchner Lenbachhaus richtet dem Avantgardisten und langjährigen Lehrer an der Städelschule derzeit eine große Ausstellung im Kunstbau aus. Er generierte schon Bilder am Computer, als die Kollegen noch ausschließlich analog arbeiteten. Und Bayrle ist berühmt für Prints, in denen sich die ikonische Superform aus der Masse kleiner Icons zusammensetzt. Zuletzt kam er 2012 auf der documenta 13 zu Ehren. Vom Kunstbau war er sofort begeistert, diesem brutal langgestreckten Schacht über dem U-Bahnhof Königsplatz. Bayrle erkannte darin die passende „Maschinenhalle“ für seine Werke. Hier werden erstmals alle seine Motor-Installationen und alle Filme zusammengetragen. Den „typischen Bayrle“, so Kuratorin Eva Huttenlauch, sieht man – die Filme ausgenommen – allerdings nicht. Und von der Idee der Maschinenhalle konnte die Kuratorin den Künstler leider nicht abbringen. Der Kunstbau ohne Einbauten hat jedoch derart aberwitzige Proportionen, dass Bayrles Maschinen darin winzig wirken. Eine Wucht wie auf der documenta 13 bekommen sie hier nicht. Da auch alle sehr laut sind, müssen die neun Motoren- und sechs Scheibenwischer-Skulpturen abwechselnd laufen: Denn zum Vespa-Motor singt die Callas, bei Citroën die Piaf und am Ford-Scheibenwischer hört man Velvet Underground & Nico. Schon so erzeugen sie ein enormes Grundrauschen. Dennoch steht man stets vor der Hälfte der Exponate ohne Ton und Action – und irrt suchend weiter.
Wenn es aus Experten-Sicht auch nachvollziehbar sein mag, den „typischen Bayrle“ wegzulassen, im Sinne des Publikums ist das nicht. Denn nicht jeder kennt ihn so gut, und in der Aneinanderreihung der Motoren lässt ihre Wirkung nach. Die Mechanik hätte den graphischen Gegenpart bitter nötig gehabt – gerne auch im Großformat. Doch von den Filmen abgesehen fällt nur die 30 Meter lange Wand-Installation der „Autobahn“ formal aus dem Rahmen: Eine Art entschleunigte Carrera-Bahn als gewaltiges Relief in Grau. Bayrle, der schon viele solche Bahnen gebaut hat, sagt dazu, diesmal sei es wirklich die letzte.
Tatsächlich steckt darin einiges, vor allem der Verweis auf uneingeschränkte Mobilität als Grundlage des „Fortschritts“. Begonnen wurde mit den ersten Trassen in der Weimarer Republik, aber erst in der NS-Zeit wurden die „Reichsautobahnen“ ideologisch überhöht, ihr Bau systematisch vorangetrieben. Ja, das erwähnt Bayrle auch. Dennoch übertönt in seinem Werk die Faszination den „Alptraum Auto“. Das „Autobahn“-Album von „Kraftwerk“ erschien übrigens 1974, ein Jahr nach den Sonntagsfahrverboten der ersten Ölkrise. Da hatte Thomas Bayrle noch keine Autobahn gebaut. Diese Ausstellung, mitten im digitalen Zeitalter – und mitten in der BMW-Stadt München – lässt sich allzu leicht als Abgesang auf die Ära des Verbrennungsmotors interpretieren. Doch es scheint, als ginge diese doch gar nicht so schnell vorüber, wie wir Weltretter es gerne haben würden.