Ferdinand Gehr, Bauen an der Kunst: Zwiesprache mit der Architektur

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6. Februar 2017
Text: Julia Hochstenbach

Ferdinand Gehr: Bauen an der Kunst.
Kunstmuseum Olten, Kirchgasse 8, Olten.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 14.00 bis 19.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00bis 17.00 Uhr.
Bis 26. Februar 2017.
Arp | Gehr | Matisse.
Kunstmuseum St. Gallen, Museumstr. 33, St. Gallen.
11. März bis 27. August 2017.

Eine ehrgeizige Schau ist im Kunstmuseum Olten zu sehen: sie widmet sich den Wandmalereien in Kirchen und Schulen des Schweizer Malers Ferdinand Gehr (1896-1996) – ein Gegenstand, den das Museum nicht ausstellen kann. Eben diese Problematik aber ermöglicht, sich der besonderen Qualität des Künstlers zu nähern.

Gehrs Kunst rückt trotz erstaunlicher rund 140 Projekte im öffentlichen Auftrag – davon etwa 60 Wandmalereien ‒, die er in sieben Schaffensjahrzehnten realisierte, erst in jüngster Zeit ins Interesse der Kunstwissenschaft. Zuvor erregte Gehr öffentliche und zwiespältige Aufmerksamkeit nur beim „Oberwiler Freskenstreit“ 1960, der mit Vehemenz öffentlich geführt wurde, Schlagzeilen machte und zur jahrelangen Verhüllung des Werkes führte. Man stieß sich am Primitivismus dieser „Malerei eines Erstklässlers“ – wohingegen Gehrs Befürworter die hohe Geistigkeit seiner Werke, ihre liebevolle Heiterkeit, ihre gestaltende Integration anführten.

Die erstaunlich polare Rezeption Gehrs ist symptomatisch und zugleich der interessanteste Aspekt der Oltener Ausstellung. Im Zentrum stehen hier die Entwürfe und Studien zu den Fresken; einige darunter sind bezaubernde Bilder, die auch für sich allein stehen könnten: expressive Miniaturen, die deutliche Spuren eines Matisse oder Hans Arp oder des Kubismus tragen und in ihrer reduzierten Einfachheit betonen, was für Gehr Kern seiner Kunst war: Malerei als Ausdruck geistiger Inhalte, der Vorrang des Geistigen über die Materie. In vielen der Studien wird aber die Einfachheit so weit getrieben, dass sie tatsächlich Befremden und Ratlosigkeit wecken. Die schlichten, beinahe zeichenhaften Figuren oder halbabstrakten Formen sind flächig und unausgestaltet, der Bildaufbau grob, die Farben simpel, die Archaik wirkt behauptet; keine Tiefe entsteht hier, nichts gerät in Bewegung oder Verdichtung. Ein genauerer Blick in den schönen Ausstellungskatalog jedoch eröffnet eine andere Perspektive: mit Fotos – die man sich präsenter und vielfältiger in der Ausstellung selbst gewünscht hätte –, auf denen die originalen Werke, die bemalten Innenräume eingefangen werden.

Hier wird die starke Bezogenheit der Fresken auf den Bau sichtbar, die diesen beleben, gliedern oder erweitern, ohne ihn je zu übertönen. Die radikale Einfachheit hat im Ensemble von Bild und Architektur ihren Sinn, selbst szenische Figürlichkeit und leuchtende Farben überfrachten und verkomplizieren nicht, sondern harmonisieren, Archaik löst sich als Reduktion auf Wesentliches ein, die schlichten Formen pointieren oder spiegeln den Raum. Im Trierer Dom etwa nehmen die Fresken „Alpha“ und „Omega“ das architektonische Spiel aus gestaffelten Bögen und Säulen auf, ohne es zu verdoppeln, zurückhaltend wie ein leises Echo.

In einer frühen Arbeit in der Herz-Jesu-Kirche St. Gallen-St. Georgen (1931) zieht Gehr theatralische Bilder durch die Räume, von diesen selbst gegliedert, eine imposante Bühne biblischer Geschichten. Später tendiert er zu größerer Ruhe, Einfachheit und Abstraktion. Seine sehr gelungene Gestaltung der Franziskuskirche in Zweisimmen (1987) beispielsweise setzt knappe, kaum noch konkrete Zeichen in sparsamen Farben und belebt sanft die Raumstruktur, in dem die wechselnde Wandfärbung den architektonischen Schnitt leicht bricht.

Sinnfällig macht die Ausstellung so die unbeirrbare Bezugnahme auf die Architektur, in der die eigenwillige Qualität von Gehrs Fresken liegt. Durch eben diese gelang es dem Künstler, das Genre der Kirchenmalerei, das vielfach in der Tradition der Renaissance und des Barock stehen geblieben war, auf eine sehr persönliche Weise und mit Nachdruck ins 20. Jahrhundert zu versetzen.