Um die Ecke denken. Die Sammlung Museum Haus Konstruktiv: Der Konstruktivismus lebt

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16. August 2016
Text: Dietrich Roeschmann

Um die Ecke denken: Die Sammlung Museum Haus Konstruktiv.
Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 4. September 2016.

Flapp, flapp, flapp … Alle sechs Minuten segelt derzeit im Zürcher Haus Konstruktiv ein Kalenderblatt durch den Saal, ausgespuckt von einem Laserdrucker, den der österreichische Künstler Martin Walde unter der Decke installiert hat. Sechs Wochen nach der Eröffnung schichten sich die Blätter auf dem Boden mittlerweile zu einem beachtlichen Haufen. Einige zieren kryptische Listen oder Zeichnungen, die meisten lediglich ein Datum aus der Zukunft. Ein schöner Opener für eine Sammlungsschau. Denn der Saal, durch den man die Ausstellung „Um die Ecke denken” zum 30-jährigen Bestehen des Haus Konstruktiv betritt, ist ganz dem Blick auf die künftige Geschichte dieses Museums gewidmet, das seit 1986 in immer neuen Konstellationen den Spagat zwischen dem Erbe der Zürcher Konkreten und den jeweils aktuellen Positionen gegenstandsfreier, konzeptueller Kunst probt. Martin Waldes „Timeline 201.6” thematisiert die Zeitlichkeit dieser Sammlung: Wie wird sie in zehn Jahren aussehen? Wie wird sie sich entwickeln? Aber auch: Wie werden künftige Erwerbungen mit den Neuzugängen aus dem Jubiläumsjahr korrespondieren, etwa mit Carissa Rodriguez’ wunderbarer, aus rotem Salz gepresster Replik eines „Shaped Canvas” von Ellsworth Kelly oder mit Jill Magids Ready-mades gerahmter Buchseiten mit Abbildungen von Josef Albers’ „Hommage to the Square”?

Eine schöne Idee davon geben die Gegenüberstellungen von alten Beständen und Ankäufen jüngerer Zeit, die Direktorin Sabine Schaschl aus rund 100 der insgesamt 900 Arbeiten der Sammlung arrangiert hat. Es die erste Schau im Haus Konstruktiv, die komplett ohne Leihgaben auskommt – und mit überraschend wenig Arbeiten der Zürcher Konkreten. Hatte sich die „Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst” ursprünglich doch zur Pflege eben dieses Erbes gegründet, ließen sich die Familien der Künstler dann aber doch nicht zu Schenkungen aus den Nachlässen hinreißen. So befinden sich heute gerade mal je sechs Arbeiten von Max Bill und Camille Graeser im Besitz des Hauses, vier von Richard Paul Lohse und zwei von Verena Loewensberg. Kein Wunder also, dass die Zürcher Konkreten zum Jubiläum des Haus Konstruktiv hier kaum mehr als eine Kulissse bilden für die Auseinandersetzung darüber, was konkrete, konstruktive, konzeptuelle Kunst heute sein kann. Will man dieser Erzählung chronologisch folgen, sollte man den Rundgang im vierten Obergeschoss beginnen, wo der Schweizer Christoph Büchel den legendären Rietveld-Chair von 1918 zum stylischen Folterinstrument umgebaut hat und so die Fesseln thematisiert, die das modernistische Erbe bis heute für Kunst und Design bedeuten. Daran ändert auch der schräge Humor wenig, mit dem Sylvie Fleury hier ein Mondrian-Gemälde in Plüsch interpretiert. Nicht weniger distanzlos, aber respektvoll nähert sich der Multimedia-Künstler Yves Netzhammer den Sammlungsbeständen. Seine surrealen Videoanimationen zeigt er inmitten einer waldartig arrangierten Rauminstallation zwischen gut zwei Dutzend historischen Arbeiten des Konstruktivismus von Walter Dexel bis Roman Clemens – mit überraschenden Analogien. Und wo im Saal nebenan mit Charlotte Posenenskes B-Serien-Relief von 1967, Heidi Künzlers cooler „Progression schwarz” (1989) und neuen Wandarbeiten von Rodrigo Hernandez eine kleine Geschichte der Monochromie zwischen Gegenstand und Display erzählt wird, treffen im ersten Obergeschoss digital errechnete Wandteppiche der Computerkunst-Pionierin Vera Molnár, eine großartige 3D-Comic-Hommmage an Sol Lewitt von Claudia Comte und attraktive Malereien von Andrew Bick und Joanne Greenbaum aufeinander, die sich jede auf ihre Weise der gezielten Manipulation von Ordnungssystemen verdanken. Am Ende des Rundgangs durch diese Sammlungsschau leuchtet eine Neonarbeit von Christian Jankowski in krakeligen Lettern von der Wand: „Schöne Ausstellung, mit Liebe gemacht”, flimmert dort. Wie drei weitere Interventionen des Künstlers und Kurators der Manifesta 11 basiert sie auf Besucherkommentaren aus Museumsgästebüchern. Dem kann man getrost zustimmen.