Zheng Bo, Drawing Life: Pflanzen als politische Akteure

Zheng Bo, Künstlerhaus Stuttgart
Zheng Bo, Drawing Life, 2021-2023, Courtesy Zheng Bo und Kiang Malingue Gallery, Ausstellungsansicht Künstlerhaus Stuttgart, 2025, Foto: Johannes Ocker © VG Bild, Bonn 2025
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25. Oktober 2025
Text: Anne Abelein

Zheng Bo, Drawing Life.

Künstlerhaus Stuttgart, Reuchlinstr. 4b, Stuttgart.
Samstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 30. November 2025.

www.kuenstlerhaus.de

Eine Atmosphäre verändert sich ständig und kann, da instabil, nicht von außen betrachtet werden. Im Werden und Vergehen begriffen sind auch Pflanzen auf einem Bauernhof, und die Stuttgarter Künstlerhaus-Community versteht sich 2025 als eine Art Bauerngemeinschaft auf einer kollektiven Farm, oder anders ausgedrückt: als Teil einer „Atmosphäre“. So auch Zheng Bo (*1974) in der Ausstellung „Drawing Life“. Der queere Künstler, der nahe Hongkong lebt, fragt in seiner Videoinstallation „The Political Life of Plants“, ob Pflanzen als politische Akteur*innen handeln können. Bo ist Angehöriger der ethnischen Gruppe der Bai, ist vom Taoismus beeinflusst und überwindet in seiner Pflanzenkunst das anthropozentrische Weltbild. In dem Film spricht Bo inmitten des brandenburgischen Buchenwaldes Grumsin, der UNESCO-Weltkulturerbe ist, mit Wissenschaftler*innen, so mit Roosa Laitinen, einer Spezialistin für Pflanzenanpassung, und mit dem Bodenökologen Matthias Rillig, der Mykorrhiza-Pilze erforscht.

Geht es beim pflanzlichen Handeln immer nur um den Wettstreit ums Überleben oder gibt es alternative Handlungskonzepte wie die Symbiose oder die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und gegenseitige Unterstützung? Kann man von Bäumen lernen, bei „Entscheidungen“ mehrere statt nur einen Faktor einzubeziehen und sich nachhaltiger zu entwickeln? Mit einer Ästhetik, die dem sowjetischem Avantgarde-Kino nachempfunden ist – Untersichten, Überblendungen oder Großaufnahmen von fast abstrakt wirkenden pflanzlichen Strukturen – visualisiert Zheng Bo plastisch die Bäume als lebende, machtvolle Entitäten. Und das Rascheln, Rauschen, Dröhnen und Klacken der Klangkulisse, die Sounddesigner erzeugt haben, verstärkt den Eindruck noch.

In der Serie „Drawing Life“ lädt Zheng Bo im Künstlerhaus Stuttgart dann dazu ein, sich der Pflanzenwelt meditativ zu nähern. Auf Kissen kniend kann man sich in die feinsten Verästelungen von Bäumen, Gräsern und Blüten in Bos bewegten Zeichnungen versenken, die in Gruppen von 14 bis 16 Blättern angeordnet sind und auf Holzpaneelen liegen, welche wiederum auf grob behauenem Stein ruhen. Seit 2020 hat Bo täglich auf der Insel Lantau Zeichnungen für die fortlaufende Serie angefertigt, die dem Jahreslauf nachempfunden ist. – Nicht dem gregorianischen Kalender, sondern dem traditionellen ostasiatischen Kalender der Lunisolar-Landwirtschaft, was die westlich-anthropozentrische Perspektive einmal mehr weitet.