Sibylle Springer

Sibylle Springer, Bubble, 2024, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Frank Scheffka
Porträt
24. Oktober 2025
Text: Rainer Beßling

Sibylle Springer: Ferne Spiegel.

Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, Bremen.
Dienstag 10.00 bis 21.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 11. Januar 2026.

kunsthalle-bremen.de

sibyllespringer.com

Sibylle Springer, Thistle (Red), 2024, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Sibylle Springer, Patchwork And Perfection, 2023, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Frank Scheffka
Sibylle Springer, Floating, 2025, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Frank Scheffka

Die Malerin des Verborgenen thematisiert in ihren jüngsten Bildern Strategien weiblicher Selbstermächtigung von Rachel Ruysch bis Madonna

[— artline>Nord] Es beginnt mit schwimmenden und fallenden Frauen. Sibylle Springer (*1975 in Münster) umspielt in ihren frühen Bildern die Schwerkraft, markiert das Momenthafte, setzt Körper und Raum in ein offenes Verhältnis zueinander. Wände verlieren trotz Rasterung ihre Festigkeit. Zwischen Sprung, Schweben und Gleiten machen die Figurationen das Wirken von Wasser und Luft fast greifbar. Zwischenräume nehmen Gestalt an. Alles tritt in Übergängen auf, verharrt in Ambivalenz. Springers frühe Malerei formuliert hinter Vorhängen oder Regenwänden Verborgenes, Verstelltes. In den U-Bahn-Welten von New York hält sie das Untergründige in rasender Passage fest. Verschlungene Liniengeflechte und flirrende Farbräusche füllen die Leinwände. Aus den virtuos gemalten Ereignissen sprechen Erzählungen vom Untergrund, Tiefgründiges klingt an. Der Schein ist die Wirklichkeit der Wahrnehmung und das Grabungsfeld der Kunst.

Das war um 2008. Nun zeigt die Malerin in der Kunsthalle Bremen ihre jüngsten Arbeiten. Erneut geht es um Verborgenes und um Sichtbarkeit. Frauen, weiterhin Personal der Bilder, erscheinen aber in einer anderen Rolle. Im Mittelpunkt stehen das Narrativ der vergessenen, verdrängten Künstlerinnen sowie Strategien ihrer Nachfolgerinnen, Beachtung zu finden. Hinzu kommt eine feministische Umdeutung klassischer Themen und Motive in der Malerei. „Ferne Spiegel“ lautet der Titel der komplexen, klug komponierten, die malerische Qualität der Künstlerin belegenden Schau. Als historische Protagonistinnen wählt Springer unter anderen die niederländische Malerin Rachel Ruysch (1664-1750) sowie die Nürnberger Schwestern Barbara Regina Dietzsch (1706-1783) und Margaretha Barbara Dietzsch (1726-1795). Alle drei waren zu Lebzeiten hoch angesehen. Über ihre Präsenz in der Kunstgeschichte und im Kunstbetrieb ließe sich diskutieren. Alle drei sind exzellente Beobachterinnen der Natur, der sie dem Stillleben gemäß Allegorien auf das menschliche Dasein als endliches ablesen.

Springer nimmt die Spur auf. Sie verhandelt Vergänglichkeit aber nicht allein auf der Motivebene, sondern lässt die Materialität der Gemälde mitsprechen. So trennt sie etwa die Leinwände auf. Im zweiten Ausstellungsraum flankiert eine textile Falter-Skulptur als Sinnbild von Metamorphose eine Porträtreihe von Pop-Ikonen, deren Bildnisse sich in Auflösung befinden. Die Gesichter von Britney Spears oder Madonna sind trotz des Konservierungsehrgeizes der Musikerinnen von Verfall attackiert. Springer beschleunigt das Altern, indem sie das Bildmaterial mit toxischen Substanzen infiziert.

In einem Tableau greift die Malerin Selbstinszenierungen von Künstlerinnen in den sozialen Medien auf. Meist handelt es sich um Porträts im Atelier, vor Werken, drapiert mit Dingen, die eine Haltung, eine Identität ausbilden. Springer, selbst auf Instagram mit wirksamer Präsenz aktiv, weiß um die Logik des Mediums, dessen sie sich bedient und das sie bedient. So viel Freiheit und Potential die Bildmaschinerie für die weibliche Selbstermächtigung auch bieten mag, der Konformitätsdruck ist immens. Das reinste Vergnügen dürfte der female gaze auch nicht sein.

Dennoch beschwört Springer den Zusammenhalt. In einer „Abstammungstafel“ fädelt sie Verbindungen zwischen Künstlerinnen ein. In einem Video sieht man Personen mit „Kleidung“ aus Springers Hand vor dem Stammbaum. Sie sollen die Wärme des Frauenverbunds spüren. In einer monumentalen textilen Lack-Zistrose, eine Malvenart, sind weibliche Malereiikonen eingewoben. 24 Künstlerinnen haben bei der Figur mitgewirkt. Ein Geflecht, ein Plädoyer für das Auslegen offener Fäden als Kerngeschäft der Kunst ist das nicht.

Insgesamt eine interessante Ausstellung, an der debattiert werden kann, wie viel kunstpolitisches Narrativ Malerei verträgt, ohne in die Illustration von unverrückbaren Standpunkten abzubiegen. Sogar Männer erhalten in Gestalt zweier Bilder eine Nische: „More guys, more fun“.